Material und Korrekturen zum Buch "Familie Kuffner" von Klaudia Einhorn
Herausgegeben vom Verein Kuffner-Sternwarte, 2017
Das Buch ist auf Anfrage bei den Veranstaltungen des Vereins erhältlich.
Die Wurzeln der Familie Kuffner
Unser Wissen um die fast dreihundertjährige Geschichte der Familie Kuffner, verdanken wir vor allem Hermann von Kuffner, der im Jahr 1902 eine kleine Familienchronik herausgab [Ref. 1.)]. Obwohl Matriken erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts gesetzlich eingeführt wurden, lassen sich die Wurzeln der Familie aus dem mährischen Lundenburg (Břeclav) bis in das 17. Jahrhundert zurückverfolgen.
Als Ahnherr der Familie gilt Samuel Butschowitz, dessen Sohn Juda Löb 1731 am jüdischen Friedhof in Lundenburg bestattet wurde. Juda Löb war der Pächter des fürstlich Liechtensteinschen Branntweinhauses in Lundenburg und soll dem damals regierenden Fürsten Joseph Wenzel von und zu Liechtenstein als hervorragender Schachspieler bekannt gewesen sein. Dieser Fürst, selbst ein leidenschaftlicher Schachspieler, spielte einmal in Wien mit einem französischen Gesandten um eine hohe Summe eine Partie Schach. Allerdings stellte sich heraus, dass ihm der Franzose weit überlegen war.
Als der Fürst einsehen musste, dass er die Partie nicht mehr gewinnen kann, merkte er an, er glaube sein Pächter aus Lundenburg könnte das Spiel noch retten. Und er schlug vor diesen nach Wien holen zu lassen. Der Marquis war damit einverstanden und Juda Löb, so erzählt die Geschichte, hat das Spiel tatsächlich gewonnen. Zum Dank ließ ihm Joseph Wenzel von Liechtenstein etwas später ein Haus auf fürstlichem Grund erbauen und übertrug ihm 1723 das Grundrecht. Die entsprechende Urkunde befand sich 1902 noch im Besitz von Hermann von Kuffner. Dieses Haus in Lundenburg wurde bis 1871 von Mitgliedern der Familie bewohnt.
Juda Löbs Sohn Koppl, übernahm nach dem Tod seines Vaters die Pacht des Branntweinhauses. Und dessen erstgeborener Sohn Wolf wiederum, ebenfalls ein tüchtiger Geschäftsmann, konnte schließlich 1805 das Lundenburger Branntweinhaus käuflich erwerben. Zu dieser Zeit hieß Wolf Koppl bereits Wolf Kuffner. Kaiser Joseph II bestimmte mit Patent vom 23. Juli 1787, dass alle Juden bestimmte Familiennamen und deutsche Vornamen tragen sollten und die Matriken ab 1. Jänner 1788 in deutscher Sprache zu führen sind. Jüdische Namen oder vielfach nach dem Wohnort übliche Benennungen wurden verboten [Ref. 2.) ab S. 534]. Ein Hofdekret vom November 1787 enthielt zudem eine Liste der wenigen erlaubten und aller verbotenen Namen für Frauen und Männer [Ref. 2.) ab S. 544].
Den Söhnen wurde bis dahin oft der Name des Vaters angefügt. So hieß Wolf, der Sohn des Koppl, Wolf Koppl. Ein Dokument aus dem Liechtensteinschen Schloßarchiv, datiert auf den 29. September 1787, belegt die Namensverteilung in Lundenburg [Ref. 3.) S. 324]. Demnach trug Wolf nunmehr den Familiennamen Kuffner (damals noch Kufner geschrieben). 1787 heiratete Wolf Kuffner Ernestine Saphir, die ihm sieben Kinder schenkte. Wolf Kuffner starb am 24. April 1826. Ernestine war übrigens eine Tante des Schriftstellers Moritz Gottlieb Saphir (1795–1858), der die Zeitschrift "Der Humorist" gründete. Die in Wien herausgegebene Zeitschrift für Scherz und Ernst, Kunst, Theater, Geselligkeit und Sitte, erschien erstmals am 2. Jänner 1837.
Da interne Angelegenheiten den jüdischen Gemeinschaften selbst überlassen blieben, fand jährlich die Wahl der Gemeindevertretung statt. 1827 wurde Wolf Kuffners Sohn David in die Gemeindevertretung gewählt. Davids älterer Bruder Karl führte ab 1826 die Brennerei. Nach dessen plötzlichen Tod im Jahr 1835 übernahm David Kuffner die Leitung. Durch Modernisierung und Errichtung einer Mälzerei machte er daraus ein einträgliches Geschäft. 1868 spendete David Kuffner, damals Bürgermeister und Kultusvorsteher, einen hohen Geldbetrag und ließ in Lundenburg einen neuen Tempel erbauen. Die Tempel-Einweihung erfolgte am 14. Februar 1869. David Kuffner verstarb 1871.
Auch Davids ältere Schwester Marie, verheiratet mit Jacob Schück, erwies sich als Wohltäterin. So ermöglichte sie beispielsweise mit einer großzügigen Spende den Bau einer Schule in Lundenburg. Marie war eine gebildete, geistreiche Frau, die unter anderem mit dem Dichter Heinrich Heine (1797-1856) korrespondierte, den sie durch Moritz Gottlieb Saphir kennengelernt hatte [Ref. 1.) S. 24]. Marie Schück starb 1868.
1832 pachteten die Brüder Karl, David und Simon Kuffner auch das fürstliche Bräuhaus in Lundenburg. Doch dieses Geschäft wurde 1849 wieder aufgegeben, da die beiden damaligen Pächter, Davids Sohn Jakob und dessen Cousin Ignaz (der Sohn von Karl), ein Bräuhaus in Wien-Hernals gepachtet hatten. Laut Amtsblatt erfolgte die Gründung der Offenen Gesellschaft "Ignaz Kuffner & Jakob Kuffner" am 1. November 1849.
Nur wenige Monate später, am 8. März 1850, kauften sie die von Heinrich Plank im Jahre 1837 gegründete und hoch verschuldete Brauerei in Ottakring (die Hernalser Brauerei gaben sie wieder auf). Ottakring war damals noch ein Vorort von Wien der erst 1890/1892 eingemeindet wurde. Durch Ausbau und Modernisierung konnte die Produktion der Kuffner-Brauerei (die heutige Ottakringer Brauerei) in kurzer Zeit enorm gesteigert werden. Von 18.518 hl im Jahr 1850 auf 50.661 hl im Jahr 1856. Im Jahr 1856 erwarben die Geschäftspartner, deren Sinn für Fortschritt wesentlich zu ihrem Erfolg beitrug, noch eine kleine Brauerei in Oberdöbling (wurde 1890/1892 eingemeindet), die Jakob Kuffner ebenfalls zu einem Großbetrieb ausbaute. 1860 ließen die Kuffners auf dem rund ein Hektar großen Gelände der Brauerei Ottakring eine eigene Spiritus- und Presshefefabrik errichten, die 1876 noch vergrößert wurde.
1862 wurde die "Kuffner'sche Zuckerfabrik" in Lundenburg gebaut, an der Ignaz und Jakob beteiligt waren. Weitere Fabriken, wie die 1867 gemeinsam mit den Brüdern Wilhelm und David Gutmann errichtete Zuckerfabrik in Diószegh (damals Ungarn heute Slowakei) und die Zuckerfabrik in Kostel, kamen nach und nach hinzu.
1873 fand in Wien eine Weltausstellung statt. Es war die erste im deutschsprachigen Raum. Die Zuckerfabrik Diószegh und der Brauereibetrieb "Ignaz Kuffner & Jakob Kuffner" waren bei der am 1. Mai 1873 eröffneten Weltausstellung vertreten. Beide Unternehmen erhielten eine Auszeichnung. Im selben Jahr wurde die "Diószegher Ökonomie, Zucker- und Spiritusfabriks Aktien Gesellschaft" gegründet. In den Verwaltungsrat wurden die Brüder Wilhelm und David Gutmann sowie Ignaz, Jakob, Hermann (Jakobs Bruder) und Karl Kuffner (Jakobs Sohn) gewählt.
1878 nahm mit Simon Kuffners Sohn Gottlieb abermals ein Mitglied der Familie die Hernalser Brauerei (gegründet 1839 von Rudolf Müller) in Pacht, bis er sie schließlich kurz vor seinem Tod 1887 dem damaligen Besitzer Albert Lenz abkaufte. Die Brauerei wurde von Gottlieb Kuffners Erben weitergeführt. Miteigentümer dieser Brauerei war Hermann Kuffner.
Ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Ottakring, engagierten sich die Kuffners auch für soziale Belange der Gemeinde. Im Jahr 1850 stellten sie dem Frauen-Wohltätigkeits-Verein, die Räumlichkeiten ihrer gerade erst erworbenen Brauerei unentgeltlich zur Verfügung. Die Damen organisierten im Brauhaussaal einen Ball zugunsten einer Schule für mittellose Mädchen und die Kuffners erklärten sich bereit auch einige damit verbundene Kosten zu übernehmen. Sie unterstützten auch das Ottakringer Armeninstitut mit regelmäßigen Zuwendungen. Und neben Spenden für die Schaffung von Spitälern, richteten sie während des preußisch-österreichischen Krieges 1866 in ihrem Haus in der Dornbacher Straße, selbst ein kleines Spital für Verwundete ein.
Ignaz Kuffner - Bürgermeister von Ottakring
Im "Fremden-Blatt" von Wien erscheint Ignaz Kuffners Name erstmals im März des Jahres 1849, der seines Cousins Jakob im April. Ignaz war damals noch ledig, Jakob bereits Vater von drei Kindern. Am 5. Juni 1849 nahm Ignaz Kuffner seine Cousine Franziska, genannt Fanny (Simon Kuffners Tochter), zur Frau. Die Trauung fand in der Synagoge von Lundenburg statt. Das frisch vermählte Paar zog nach Hernals, wo im März 1850 ihr Sohn Karl geboren wurde. Doch das Glück sollte nicht lange währen. Fanny Kuffner starb am 21. Juli 1851 im Alter von 21 Jahren, nur zwei Tage nach dem Tod ihres zweiten Sohnes der zu früh zur Welt kam.
Ignaz Kuffners zweite Frau Rosalie Spitzer (genannt Sali), schenkte ihm zwei Söhne, Moriz geboren 1854, Victor geboren 1857 und Tochter Katharina (geb. 1862). Zwei Söhne von Ignaz Kuffner verstarben bereits im Kindesalter. Karl starb 1863 im vierzehnten und Victor 1872 im fünfzehnten Lebensjahr.
Im Jänner 1867 wurde Ignaz Kuffner in Anerkennung seines gemeinnützigen Wirkens das Ritterkreuz des Franz-Joseph Ordens verliehen. Anlässlich dieser Auszeichnung gründete Kuffner eine Stiftung für Kriegsinvalide. Außerdem ermöglichte er mit einer Spende den Bau einer zukunftsweisenden Institution, der ersten "Kommunal-Kinderbewahranstalt" in Ottakring, in der, und das war Kuffner besonders wichtig, Kinder ohne Unterschied der Konfession aufgenommen wurden. Diese Kinderbewahranstalt wurde im August 1868 eröffnet.
Im Mai 1869 wurde Ignaz Kuffner mit absoluter Stimmenmehrheit zum Bürgermeister von Ottakring gewählt. Damit begann für den Wiener Vorort erst die Zeit freier ungehemmter Entwicklung [Ref. 4.) S. 472]. Während Kuffners Amtszeit wurde unter anderem die Verkehrssituation verbessert, Schulen erbaut, die Übelstände im Armenhaus beseitigt und ein neues errichtet, das erste Postamt eröffnet und die Freiwillige Feuerwehr gegründet.
Besprechungen fanden oft auch im Ottakringer Brauhaus statt. So lud Kuffner etwa im Juni 1870 achtzig Landtagswähler zu einer Wahlbesprechung ein. Im Rahmen dieser Versammlung stellte Dr. Kühn das Programm des demokratischen Vereins "Gleichberechtigung" vor: allgemeines und direktes Wahlrecht, vollständige Autonomie den Gemeinden und dem Lande, Religions- und Lehrfreiheit, daher Aufhebung des Konkordats, freies Vereins- und Versammlungsrecht, freies Koalitions- und Assoziationsrecht, Einführung einer Volksmiliz, Einführung der Schwurgerichte auf alle Fälle, Aufhebung des Advokaturzwanges sowie Beeidigung aller Organe des Staates auf die Verfassung. Es folgte lebhafter Beifall.
Ab August 1870 kämpfte dieser Verein gegen die am 30. Juli von der Regierung verfügte Auflösung des Arbeiter-Bildungsvereins und 26 weiterer Arbeitervereine. Alle diese Vereine wurden seitens der Behörden als staatsgefährlich bezeichnet. Ignaz Kuffner stellte dem bereits 1868 gegründeten "Verein Gleichberechtigung", seinen Brauhaussaal in Ottakring für Versammlungen zur Verfügung.
Kuffner der jahrelang Mitglied des Bezirksschulrates von Hernals war, setzte sich unermüdlich für die Bildung der Jugend ein. Abgesehen von zahlreichen Spenden gründete er 1870 eine Stiftung (die "Bürgermeister Kuffner'sche Schulstiftung") für Lehrmittelanschaffungen und 1871 eine weitere für Schulstipendien. Am 19. Dezember 1873 wurde Ignaz Kuffner Ehrenbürger von Ottakring.
Im Jahr 1872 trugen Ignaz und Jakob Kuffner mit einer Spende zur Österreichisch-Ungarischen Nordpol-Expedition (1872-1874) bei, die unter der Leitung von Julius Payer und Karl Weyprecht stand. Als die Nordpol-Fahrer am 25. September 1874 zurückkehrten, war ganz Wien auf den Beinen um sie zu bejubeln. Am Ehrengeschenk für die Mitglieder des Expeditionsteams hatte sich die Gemeinde Ottakring mit einer Spende aus der Gemeindekasse beteiligt.
1874 konstituierte sich auf Ignaz Kuffners Initiative auch eine israelitische Kultusgemeinde, die über ein Bethaus in Hernals verfügte. Zuvor gab es nur kleine Betstuben in Privathäusern. Ignaz Kuffner, der selbst im Vorstand der Kultusgemeinde war, vermachte in seinem Testament 5.000 Gulden für den Bau eines Tempels. Eben soviel gab auch sein Sohn Moriz nach dem Tod seines Vaters. Die Grundsteinlegung des Ottakringer Tempels in der Hubergasse 8, erfolgte 1885.
Nach einem Beschluss vom 11. April 1878, wurde Ignaz Kuffner insbesondere auf Grund seiner humanitären Verdienste mit dem Ehrentitel "Edler" in den Adelsstand erhoben. Ignaz Edler von Kuffner starb am 23. März 1882. Die Menschen trauerten um einen großen Mann. Nicht nur wegen seiner Wohltaten, sondern auch weil er sich stets für ein friedliches Zusammenleben eingesetzt hatte.
Dr. Jellinek sagte in seiner Trauerrede "So wurde durch die christlichen Bürger und deren dahingeschiedenen Bürgermeister Ottakring aus einem Vororte der Residenz zu einem Vorposten echter Brüderlichkeit und musterhafter confessioneller Eintracht. Wenn je in der Residenz die Lästerzunge behaupten sollte, dass ein friedliches und einträchtiges Zusammenwirken zwischen den Anhängern der Kirche und den Bekennern der Synagoge unmöglich sei, so werden die Namen: Ottakring und Ignaz Edler v. Kuffner genügen, um eine solche Behauptung zu widerlegen." [Ref. 5.)] Als Vermächtnis an die Gemeinde hinterließ Kuffner unter anderem eine Notenrente von 6400 Gulden, welche 1883 als "Ignaz v. Kuffner'sche Wohltätigkeitsstiftung" für schuldlos verarmte Familien in Ottakring angelegt wurde.
Jakob Kuffner
Ignaz von Kuffners Cousin Jakob, der Mitbegründer der Firma "Ignaz Kuffner & Jakob Kuffner", vermählte sich am 24. März 1845 mit Nanette Hamburger (genannt Netti) aus Proßnitz. Aus der Ehe gingen acht
Kinder hervor.
Jakob Kuffner leitete das Brauhaus in Oberdöbling welches er ebenfalls zu einem Großbetrieb ausbaute. 1864 wurde er in Oberdöbling erstmals zum Gemeinderat gewählt.
Jakob Kuffner überlebte eine der größten Brandkatastrophen in der Geschichte Wiens.
Am 8. Dezember 1881 besuchte er das Ringtheater. Das am 17. Jänner 1874 eröffnete Gebäude am Schottenring 7, bot Platz für mehr als 1700 Menschen. Kurz nach dreiviertel Sieben, knapp vor Beginn der Oper "Hoffmanns Erzählungen", brach hinter der Bühne ein Brand aus. Gegen neunzehn Uhr stand bereits das ganze Gebäude in Flammen. 449 Menschen kamen bei dieser Katastrophe ums Leben [Ref. 24.) S. 378]. Zu den Opfern zählten vor allem Besucher der oberen Ränge, die nicht rechtzeitig die Ausgänge erreichen konnten.
Jakob Kuffner der sich bei Ausbruch des Feuers auf der zweiten Galerie befand konnte sich retten. Er kletterte im ersten Stock aus einem Fenster auf das Gesimse und etwas später über eine herangeschaffte Notleiter nach unten. Laut seiner Zeugenaussage im Ringtheaterprozess 1882, konnte man bereits nach zwei bis drei Minuten aufgrund der starken Rauchentwicklung kaum noch atmen.
Auch Jakob Kuffner lag besonders das Bildungswesen am Herzen. So unterstützte er beispielsweise das Israelitische Blindeninstitut auf der Hohen Warte 32, welches 1872 eröffnet wurde, mit Zuwendungen und spendete der Gemeinde Oberdöbling 5.000 Gulden für den Bau eines Gymnasiums. 1887 wurde er nicht zuletzt aufgrund seines gemeinnützigen Wirkens Ehrenbürger von Oberdöbling. Er war Mitglied
des Ortsschulrates und 26 Jahre Gemeinderat. Jakob Kuffner starb am 8. Mai 1891. In seinem Testament vermachte er den Gemeinden Lundenburg und Döbling 60.000 Gulden für wohltätige Zwecke. Unter anderem 20.000 Gulden zur Stiftung von Schulstipendien.
Moriz von Kuffner
Ignaz Sohn ➤ Moriz von Kuffner trat nach seinem Studium an der Technischen Hochschule in die väterlichen Unternehmungen ein.
1904 beschlossen die damaligen Firmenchefs, Moriz von Kuffner und Jakobs Söhne Wilhelm Kuffner und Karl Kuffner de Dioszegh (der 1896 in den Ritterstand erhoben wurde), das Familienunternehmen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Im Februar 1905 erhielten sie die notwendige Genehmigung für die Aktiengesellschaft "Ignaz Kuffner & Jakob Kuffner für Brauerei Spiritus und Presshefefabrikation Ottakring-Döbling". Das Aktienkapital betrug damals 10 Millionen Kronen. In der konstituierenden Generalversammlung vom 22. Februar 1905 wurden folgende Personen in den Verwaltungsrat gewählt: Moriz von Kuffner, Wilhelm Kuffner, Karl Kuffner de Dioszegh, Elsa von Kuffner (Moriz' Frau), Camilla Kuffner (Wilhelms Frau), Maria Franziska Kuffner de Dioszegh (Karls Frau), Dr. Georg Holitscher (Elsas Bruder) und David Glück.
Neben der erfolgreichen Leitung des Familienunternehmens, führte Moriz von Kuffner gemeinsam mit seiner Schwester Katharina auch die soziale Tradition der Familie weiter. Unter anderem ermöglichten sie die Errichtung einer neuen Filiale der Kommunal-Kinderbewahranstalt.
Kuffner rief etliche wohltätige Institutionen ins Leben. So gründete er beispielsweise eine Stiftung für Verunglückte der Freiwilligen Feuerwehr oder deren Hinterbliebene. Und wie alle Mitglieder der Familie, förderte auch er die Schulkinder Wiens.
Kuffner war Mitbegründer des "Verein zur Unterstützung hilfsbedürftiger Schüler" am Staatsgymnasium in Hernals und griff etlichen anderen Schulen finanziell unter die Arme. Den Wiener Schulen stellte er unentgeltlich einen Platz unterhalb der Sternwarte zur Verfügung, wo wöchentlich Jugendspiele veranstaltet wurden. Moriz und seine Frau Elsa engagierten sich auch im "Verein zur Unterstützung mittelloser taubstummer Schulkinder". Elsa von Kuffner war lange Vizepräsidentin und später Ehrenmitglied dieses Vereins.
Moriz von Kuffner war ab 1900 einige Jahre lang im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und zudem viele Jahre Präsident des Kuratoriums der Israelitisch-Theologischen Lehranstalt. Mitbegründer dieser Lehranstalt waren die Geschäftspartner der Familie Kuffner, Wilhelm und David von Gutmann.
Kuffner hatte sich vor allem mit dem Bau und dem Erhalt der Kuffner-Sternwarte in Wien Ottakring, als Mäzen der Astronomie einen Namen gemacht. In den dreißiger Jahren unterstützte er auch die Urania-Sternwarte. Kuffner stellte der Urania ein Positionsmikrometer zur Verfügung und spendete zudem größere Geldsummen [Ref. 20.) S. 201].
Moriz von Kuffner, selbst Mitglied der "Astronomischen Gesellschaft", förderte aber nicht nur die Astronomie sondern auch andere wissenschaftliche Projekte. Er war viele Jahre im Ausschuss des Naturwissenschaftlichen Orientvereins und unterstützendes Mitglied der Geographischen Gesellschaft. Außerdem war er einer der Stifter der 1886 errichteten meteorologischen Station am Sonnblick [Ref. 6.) S. 45] und Mitglied im 1892 gegründeten Sonnblick-Verein, der übrigens noch heute Eigentümer des Observatoriums ist.
Wenig bekannt ist auch seine Unterstützung für den auf Initiative von Marie Lang (Vertreterin des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins) im Februar 1901 gegründeten "Verein Settlement". Moriz von Kuffner stellte dem Ottakringer Settlement das erste Quartier zur Verfügung. Es war ein kleines, einstöckiges Haus mit Garten in der Friedrich Kaisergasse 51 [Ref. 8.)]. Am 15. Oktober 1901 wurde das Settlement eröffnet. Dort kümmerte man sich nicht nur um Kinder aus Arbeiterfamilien. Die zentrale Idee war, Kindern und Eltern durch Bildungsveranstaltungen Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Moriz von Kuffner und Wilhelm Kuffner waren Ehrenmitglieder des Vereins Settlement. Der erste Präsident des Vereins war Karl Renner, der spätere Bundespräsident von Österreich.
In Vergessenheit geraten scheint zudem Kuffners Beitrag zum Bau des ersten Arbeiterheimes in Wien. Am 23. Mai 1896 wurde der "Verein Arbeiterheim Favoriten" gegründet, mit dem Ziel die nötigen Mittel zum Bau eines Heimes für die Arbeiterorganisationen des 10. Bezirks aufzubringen. Denn es mangelte an geeigneten Versammlungsorten, wo man ungehindert der politischen Arbeit nachgehen konnte. Die Finanzierung für das Projekt sicherte Moriz von Kuffner, der einen Kredit gewährte.
Die Idee Kuffner um Hilfe zu bitten, kam dem Politiker Viktor Adler, als er auf einem Spaziergang von fern die Kuffner-Sternwarte sah. Zu seinem Begleiter sagte er damals: „Dieser Mann ist für Wiener Verhältnisse eine Ausnahme; reiche Leute aus dem Bürgertum haben meist andere Passionen, was interessiert sie der gestirnte Himmel!" [Ref. 9.)]
Das Arbeiterheim konnte bereits im September 1902 eröffnet werden. In diesem Gebäude gab es neben mehreren Klubräumen auch einen großen Theatersaal, eine Bibliothek, das erste Kinderfreunde-Lokal des Bezirks und 40 Arbeiterwohnungen.
1905 nahmen auch die Ottakringer Sozialdemokraten den Bau eines eigenen Arbeiterheimes in Angriff. Und wieder wurde die Finanzierung mit Hilfe von Moriz von Kuffner gesichert, der einen Baukredit gewährte und im Gegenzug das Monopol für die Belieferung des Buffets mit Bier erhielt. Kuffners Unterstützung war noch jahrelang Gegenstand von Polemik in der politischen Berichterstattung und in Gemeinderatsdebatten. In der antisemitischen Tageszeitung "Deutsches Volksblatt" wurde die Sozialdemokratische Partei sogar als "Kuffner-Partei" bezeichnet.
Zu jener Zeit war die antisemitische Stimmung in Wien schon stark aufgeheizt. Nicht zuletzt aufgrund der antisemitischen Demagogie mit der Karl Lueger in den 1880er Jahren versuchte Wählerstimmen zu gewinnen. Damit hatte er wesentlich dazu beigetragen, die diskriminierenden Tendenzen in der öffentlichen Diskussion zu verstärken.
Im Februar 1889 wurde im Beisein von Lueger das Programm der "Vereinigten Christen" vorgestellt, welches unter anderem folgende Punkte enthielt: Ausschluss, eventuell Beschränkung der Juden im Grundbesitz. Ausschluss der Juden vom Beamten- insbesondere vom Richterstand, sowie vom Offiziersstand und vom Militärärztestand, unbedingter Ausschluss vom öffentlichen Unterricht der Nichtjuden. Weiters die "Entjudung" gewisser Berufsarten, wie der Anwälte, Ärzte, Pfandleiher, Lebensmittelverkäufer und Ausschluss vom Branntweinschank. Das Programm forderte außerdem konfessionelle Schulen, einen Einwanderungsstopp für Juden und die Stellung der einheimischen Juden unter ein besonderes Fremdengesetz (➤ Deutsches Volksblatt, 20. 2. 1889, ANNO ÖNB).
Schockiert über die Vorgänge in Wien und nachdem es im Jahre 1891 sogar zu Tätlichkeiten gekommen war, entschied sich Bertha von Suttners Mann Arthur Gundaccar von Suttner, den "Verein zur Abwehr des Antisemitismus" zu gründen [Ref. 10.)]. Ab Oktober 1891 gab dieser Verein regelmäßig Mitteilungen (Abwehrblätter) heraus. Doch die Versuche dem Antisemitismus mit rationalen Argumenten zu begegnen waren nicht von Erfolg gekrönt. Die antisemitische Bewegung setzte sich durch. 1893 vereinte Karl Lueger die Christlichsozialen Bewegungen zur Christlichsozialen Partei. 1895 haben die Christlichsozialen die Mehrheit im Wiener Gemeinderat errungen und die Lage verschlechterte sich zusehends.
Vor diesem Hintergrund findet Kuffners Unterstützung für die Arbeiterheime statt.
Während des ersten Weltkrieges spendeten die Kuffners nicht nur hohe Summen an verschiedene Einrichtungen, wie beispielsweise dem Roten Kreuz. Wie viele andere Bürger auch, halfen die Familienmitglieder, wo immer Hilfe gebraucht wurde, wie in Volksküchen und Spitälern. Über den Militärdienst der Kuffners ist uns praktisch nichts bekannt.
Doch die Namen einiger Kuffners erscheinen in Heeresberichten. Darunter zwei Söhne von Moriz von Kuffner, Ignaz und Johann, sowie Hans von Redlich, ein Enkelsohn von Hermann Kuffner.
Auch Moriz Kuffners dritter Sohn Stephan hat von 1915-1918 im Heer gedient. 1917 wurde ihm das Goldene Verdienstkreuz am Bande der Tapferkeitsmedaille verliehen. Ein Enkelsohn von Ignaz Kuffners Schwester Josephine, der Medizinstudent Leo Gustav Pollack, ist am 3. August 1916 bei Rudka in Wolhynien gefallen. Der Pianist Albert Ernst, ein Enkelsohn von Karoline Kuffner-Ernst fiel bereits 1914.
Vertreibung und Vernichtung
Moriz von Kuffners Schwester Katharina, eine ausgezeichnete Konzertpianistin, war mit dem Frankfurter Juwelengroßhändler Moritz Nathan Oppenheim verheiratet. Die Trauung fand am 8. Juli 1884 im Wiener Stadttempel statt. Katharinas Trauzeuge war Wilhelm von Gutmann. Das Paar lebte in Frankfurt. In ihrem Haus verkehrten neben Wissenschaftlern und Künstlern auch Clara Schumann, deren Schülerin Katharina Oppenheim war und die Komponisten Johannes Brahms, Wilhelm Backhaus und Paul Hindemith. Moritz Oppenheims besonderes Interesse galt den Naturwissenschaften, unter anderem auch der Meereskunde. Nachdem er mit einer großzügigen Spende ein Aquarium auf Helgoland ermöglichte, wurde er Ehrenbürger der Insel. Er war lange auch Vorstandsmitglied der Polytechnischen Gesellschaft und Mitglied des Physikalischen Vereins. 1908 stiftete das Ehepaar Oppenheim dem Physikalischen Verein einen achtzölligen Refraktor für die neue Sternwarte. Der "Oppenheim-Refraktor" ist mit Unterbrechungen bis heute im Einsatz.
Im Jahr 1912 stifteten Katharina und Moritz Oppenheim 250.000 Mark für einen ordentlichen Lehrstuhl für exakte Naturwissenschaft, in erster Linie Physik, Chemie oder Biologie und wurden so Mitbegründer der Universität Frankfurt am Main. 1914 konnte die Freie Universität eröffnet werden. Eine Bedingung der Oppenheims und auch anderer Stifter war, dass bei der Lehrstuhlbesetzung konfessionelle und religiöse Gesichtspunkte keine Rolle spielen dürfen [Ref. 11.)]. Den vom Ehepaar Oppenheim gestifteten Lehrstuhl für theoretische Physik, hatten in direkter Folge der Nobelpreisträger Max von Laue und Max Born inne. Born erhielt später ebenfalls den Nobelpreis für Physik (1954 zusammen mit W. Bothe). Die Oppenheims waren auch mit Albert Einstein bekannt. Ihr Sohn Paul war mit Einstein befreundet.
Der Chemiker, Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Paul Oppenheim war mit der Belgierin Gabrielle Errera (genannt Gaby) verheiratet, in deren Elternhaus er 1912 auch Albert Einstein erstmals begegnete. Gaby schenkte ihrem Mann zwei Söhne, Felix und Stephen. Im Haus der Familie verkehrten unter anderem Theodor W. Adorno und Paul Tillich. Adorno berichtete später, die Oppenheims hätten damals den maßgeblichen Intellektuellensalon in Frankfurt gehabt, "wo sich alles traf, was einigermaßen den Füllfederhalter halten konnte [Ref. 39.) S. 24]."
Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 ging Felix Oppenheim sofort nach Brüssel. Sein jüngerer Bruder Stephen befand sich damals bereits auf einer Schule in der Schweiz.
Im Sommersemester 1933 wurden die Namen der jüdischen Stifter der Universität Frankfurt, die in der Eingangshalle eingemeißelt waren, zerstört. Die Wände wurden neu gemeißelt, erinnerte sich Margarete Sallis-Freudenthal [Ref. 12.)]. An diesem Tag flüchteten schließlich auch Paul und Gaby Oppenheim nach Brüssel. Pauls Eltern hatten sich geweigert Deutschland zu verlassen.
Am nächsten Morgen begingen Katharina und Moritz Nathan Oppenheim Selbstmord. Paul Oppenheim schrieb später dazu: "Aber am 9. Juni 1933 horchte das In- und Ausland auf, als meine Eltern freiwillig aus dem Leben schieden; sie wollten voller Würde dem Versuch entgehen, sie als Menschen minderen Grades zu brandmarken." [Ref. 13.) ] Wenige Jahre zuvor, hatte Moritz Oppenheim anlässlich seines achtzigsten Geburtstags noch eine Ehrenplakette (auf der ein Portrait des Jubilars zu sehen ist) von der Stadt Frankfurt bekommen, die ihm große Freude bereitete.
Katharinas Enkelsohn Felix Oppenheim schrieb in seinen Erinnerungen: "They evidently could not reconcile themselves to suddenly becoming pariahs, after a life of being respected and prominent citizens." (➤ Recollections, Felix E. Oppenheim, 1993 (FMO) ) In dieser kleinen Schrift beschreibt Felix Oppenheim auch seine Flucht über Lissabon nach Amerika, wo ihn Anfang 1941 seine Familie bereits erwartete. Die Schiffskabine teilte er mit Antoine de Saint-Exupéry, dessen Meisterwerk "Der kleine Prinz" erstmals 1943 in New York erschien. Felix jüngerer Bruder Stephen Oppenheim kam im November 1942 in Boston bei dem großen Brand im Cocoanut Grove ums Leben.
Moriz von Kuffners Frau Elsa Holitscher, war eine Enkeltochter von Jakob Kuffner. Ihre Mutter war Jakobs Tochter Rosa Kuffner, die 1866 den Fabrikanten Friedrich Holitscher heiratete. Elsa kam 1867 als erstes von fünf Kindern, im Wiener Vorort Gaudenzdorf (wurde 1890/1892 eingemeindet) zur Welt. Am 17. Februar 1891 heiratete sie Moriz von Kuffner, dem sie drei Söhne schenkte, Ignaz und die Zwillinge Johann (genannt Hans) und Stephan. 1921 wurde in einer Zeitschrift über die Münzsammlung von Anton Schiestl berichtet, die sich im Kaiser Franz Josef Museum in Baden befindet.
Dabei wurde eine Medaille aus dem Jahr 1894 eingehend beschrieben. Die Vorderseite zeigt das Ottakringer Brauhaus mit Fässern, im Hintergrunde Berge und die Habsburgwarte auf dem Hermannskogel.
Über dem Brauhaus fliegt ein Storch, der ein Körbchen mit zwei Säuglingen trägt. Auf der Rückseite steht der Spruch: "Zwa Buam hat der Storch jetzt zum Kuffner hintrag'n, hoassen Hans Jakob und Steffel, san liab, net zum sag'n." (➤ "Tauf-, Firmungs- und Hochzeitsmedaillen" von Karl Meisner, Österreichische Illustrierte Zeitung, 18. September 1921. ANNO, ÖNB)
Kuffners Söhne arbeiteten alle im Familienbetrieb. Ignaz war für die technischen Angelegenheiten in der Brauerei verantwortlich. Hans hatte Agrarwissenschaften studiert und betreute die landwirtschaftlichen Betriebe der Familie in Diószegh und Stephan kümmerte sich um die kaufmännischen Angelegenheiten der Brauerei.
Ignaz Kuffner nahm auch an Autorennen teil. Am 4. Juni 1931 bestritt er das Rennen im Schloß Schönborn. Das Wiener Salonblatt berichtete: "Schneidig, mit unerschütterlicher Ruhe steuerte Herr Ignaz Kuffner seinen A.D.M. Sport über die Bahn und wurde mit 1:44.4 Erster unter den Tourenwagen." ➤ Fotos: Wiener Salonblatt, 21. Juni 1931 (ANNO, ÖNB), Bericht: ➤ ebd. Seite 15-16
Am 10. Jänner 1938 verlor Moriz von Kuffner seine Frau Elsa, mit der er 47 Jahre lang glücklich gelebt hatte. Kurz darauf am 4. Februar 1938 starb völlig unerwartet auch sein ältester Sohn Ignaz im Alter von 46 Jahren. Ignaz Kuffner hinterließ seine Frau Helene und seine zehnjährige Tochter Vera. Moriz selbst war damals schon schwer krank.
Nur wenige Wochen später, mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich am 12. März, sahen sich auch hier lebende Mitglieder der weit verzweigten Familie - von der Gestapo massiv unter Druck gesetzt - dazu gezwungen ihre Heimat zu verlassen.
Der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer, ein erklärter Feind der Nazis, suchte bereits 1933 Exil in Österreich. 1966 schilderte er eindrucksvoll die schrecklichen Ereignisse während der ersten Tagen nach dem "Anschluss" in Wien:
“An diesem Abend brach die Hölle los. Die Unterwelt hatte ihre Pforten aufgetan und ihre niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen. Die Stadt verwandelte sich in ein Alptraumgemälde des Hieronymus Bosch: Lemuren und Halbdämonen schienen aus Schmutzeiern gekrochen und aus versumpften Erdlöchern gestiegen. Die Luft war von einem unablässig gellenden, wüsten, hysterischen Gekreische erfüllt, aus Männer- und Weiberkehlen, das tage- und nächtelang weiterschrillte. Und alle Menschen verloren ihr Gesicht, glichen verzerrten Fratzen: die einen in Angst, die anderen in Lüge, die anderen in wildem, haßerfüllten Triumph.
Ich hatte in meinem Leben einiges an menschlicher Entfesselung, Entsetzen oder Panik gesehen. Ich habe im Ersten Weltkrieg ein Dutzend Schlachten mitgemacht, das Trommelfeuer, den Gastod, die Sturmangriffe. Ich hatte die Unruhen der Nachkriegszeit miterlebt, die Niederschlagung von Aufständen, Straßenkämpfe, Saalschlachten. Ich war beim Münchener “Hitlerputsch” von 1923 mitten unter den Leuten auf der Straße. Ich erlebte die erste Zeit der Naziherrschaft in Berlin.
Nichts davon war mit diesen Tagen in Wien zu vergleichen. Was hier entfesselt wurde, hatte mit der “Machtergreifung” in Deutschland, die nach außen hin scheinbar legal vor sich ging und von einem Teil der Bevölkerung mit Befremden, mit Skepsis oder mit einem ahnungslosen, nationalen Idealismus aufgenommen wurde, nichts mehr zu tun. Was hier entfesselt wurde, war der Aufstand des Neids, der Mißgunst, der Verbitterung, der blinden böswilligen Rachsucht – und alle anderen Stimmen waren zum Schweigen verurteilt. […] Hier war nichts losgelassen als die dumpfe Masse, die blinde Zerstörungswut, und ihr Haß richtete sich gegen alles durch Natur oder Geist Veredelte. Es war ein Hexensabbat des Pöbels und ein Begräbnis aller menschlichen Würde.” [Ref. 14.) S. 71 f.]
Zuckmayer floh am 15. März 1938 von Wien nach Zürich.
Sofort nach dem "Anschluss", wurden Jüdinnen und Juden von der Bevölkerung entrechtet, beraubt und erniedrigt. Männer der SA und SS plünderten hunderte jüdische Wohnungen. Betroffen waren davon auch viele Mitglieder der Familie Kuffner, unter anderem Moriz von Kuffner und Nachkommen von Jakob Kuffner.
Die Nationalsozialisten hatten zwar bereits ab dem Jahr 1933 die jüdische Auswanderung im Deutschen Reich forciert. Da jedoch das Reichswirtschaftsministerium die weitere "Abwanderung" des jüdischen Kapitals verhindern wollte, verschärften sich die mit einer Auswanderungsbewilligung verknüpften Bedingungen zusehends. "Ab 1938 wurden die Bedingungen zur Ausreise schließlich so weit verschärft, dass Juden nur nach nahezu vollständiger Beraubung gestattet wurde, das Land zu verlassen." [Ref. 15.) S. 30]
"Die Entziehung und Übereignung der Kuffner-Brauerei bzw. der 'AG Ignaz Kuffner und Jakob Kuffner für Brauerei, Spritus und Presshefefabrikation' im April 1938 gilt als einer der bedeutendsten "Arisierungs"-Fälle." [Ref. 15.) S. 278] Bereits im März versuchte Kuffner einen "arischen" Käufer für das Unternehmen zu finden, was sich als schwierig herausstellte, da sich die in Frage kommenden Interessenten aus den Verhandlungen zurückzogen. Die Brüder Harmer erkannten ihre Chance und nahmen Kontakt mit Kuffner auf. Bereits am 8. April 1938 wurde der Kaufvertrag unterzeichnet. Die damals sechstgrößte Brauerei Österreichs wurde zum Preis von 14 Millionen Schilling verkauft. (Die Deutsche Revisions- und Treuhand AG bewertete den Sachwert des Unternehmens im August 1938 mit 23,8 Millionen Schilling.) Die Käufer verpflichteten sich laut Vertrag auch zur Übernahme von Pensionsverpflichtungen für ehemalige Angestellte. Der Kaufpreis wurde jedoch auf recht ungewöhnliche Weise bestritten. Die Mittel stammten zum größten Teil aus dem Finanzvermögen des Kuffnerschen Unternehmens. Die Brüder Harmer mussten lediglich 1 Million Schilling selbst aufbringen. [Ref. 15.) S. 280-281] Dennoch verzögerte sich die Abwicklung des Geschäfts, da mehrere Behörden dem Kauf erst zustimmen mussten. Einige Familienmitglieder hatten Aktienpakete im Ausland deponiert. Die Devisenbehörde und die Gestapo beharrten auf deren Rückführung nach Österreich. Raoul Kuffner, der sich ebenso wie Hans Kuffner nicht in Österreich aufhielt, weigerte sich die für die Familie nachteiligen Bedingungen zu akzeptieren. Um den Druck auf die Familie zu erhöhen, wurden Moriz und Stephan Kuffner vermutlich Anfang Mai 1938 wegen "staatsfeindlicher Betätigung" von der Gestapo verhaftet. Am 10. Mai beschlagnahmte die Gestapo das gesamte Vermögen der Familie Kuffner. Auch andere Familienmitglieder wurden massiv eingeschüchtert.
Moriz und Stephan Kuffner mussten sich bereit erklären der sogenannten "Aktion Gildemeester" beizutreten und 35% ihres jeweiligen gesamten Vermögens dem Staat zu überlassen. Davon sollten 10% an die „Aktion Gildemeester“ gehen, 10% an den
„Arisierungsfonds“ und 15% an die Geheime Staatspolizei. Da die geforderten Barmittel nicht zur Verfügung standen, mussten Moriz und Stephan Kuffner all ihre Liegenschaften und Liegenschaftsanteile an den Treuhänder der "Aktion Gildemeester" übergeben. Kein Wunder, dass die Aktion anfangs manchmal auch "Auswanderungsfond Kuffner" genannt wurde. Am 8. Juni 1938 genehmigte die Vermögensverkehrsstelle die "Arisierung" der Brauerei. Doch der anteilsmäßige Erlös aus dem Zwangsverkauf der Firma wurde den Familienmitgliedern nicht ausbezahlt, sondern musste auf Sperrkonten einer österreichischen Devisenbank hinterlegt werden.
Nachdem der Kurator der Albertina Dr. Otto Benesch, die Kunstsammlung der Familie gesichtet hatte, stellte die Albertine am 31. Mai 1938 einen Antrag an die Zentralstelle für Denkmalschutz um eine Ausfuhrsperre für die Sammlung von Stephan Kuffner zu erwirken. (siehe dazu auch ➤ : Ein "deutsches Kunstinstitut" - Die Albertina in der NS-Zeit, von Pia Schölnberger, in neuesmuseum, Dez. 2013) Zwei Tage später wurde der Antrag umformuliert, da die Albertina selbst einige der Werke erwerben wollte, unter anderem Zeichnungen von Rembrandt.
Zehn Werke, darunter drei Blätter von Rembrandt und zwei Aquarelle von Rudolf Alt, alle aus der Sammlung Moriz von Kuffner, wurden bereits 1908 im zweiten Band der Buchreihe "Österreichische Kunsttopographie" beschrieben und abgebildet. Demnach bestand Moriz von Kuffners Sammlung schon damals "aus einer kleinen, aber gewählten Anzahl von Handzeichnungen." (➤ Die Denkmale der Stadt Wien, Seite 220-225, TU Graz)
Auch der Sonderbeauftragte Hitlers, Ernst Schulte-Strathaus, wurde auf die Sammlung aufmerksam und beantragte eine Ausfuhrsperre für die Aquarelle von Rudolf von Alt, da er diese für das geplante Führermuseum in Linz haben wollte. Bei den Verhandlungen Ende Juni 1938, war Stephan Kuffner im eigenen Namen und als Bevollmächtigter seines kranken Vaters anwesend. Kuffner erhielt für 21 graphische Blätter anstatt einer Bezahlung 150 Graphik-Dubletten der Albertina, deren Wert in keiner Relation zu den hochwertigen Objekten standen. [Ref. 16.) ]
Um überhaupt ungehindert ausreisen zu dürfen, war allerdings auch noch eine hohe Reichsfluchtsteuer zu bezahlen. Moriz von Kuffner bezahlte insgesamt mehr als 2,5 Millionen RM Reichsfluchtsteuer für sich, seine Enkelin Vera und seine Schwiegertochter Helene, die mit ihrer Heirat die Schweizer Staatsbürgerschaft verloren hatte. Was der Familie blieb waren die Beträge auf den Sperrkonten, über die sie jedoch nicht verfügen konnte.
Am 13. Juli 1938 brachte Stephan Kuffner seinen kranken Vater nach Bratislava. Von dort flüchteten sie gemeinsam mit Stephans Zwillingsbruder Hans von Kuffner am 8. August 1938 in die Schweiz.
Anfang 1939 wurde die von der Gestapo beschlagnahmte Bibliothek von Moriz und Stephan Kuffner ein Opfer des Raubzugs der Österreichischen Nationalbibliothek, die damals von dem überzeugten Nationalsozialisten Paul Heigl geleitet wurde. Die Kuffners durften sich nur einen kleinen Teil der Bibliothek nachschicken lassen. Am 8. Februar 1939 wurde die umfangreiche Sammlung, es handelte sich dabei um viele tausende Bände, in die Nationalbibliothek überführt. [Ref. 17.) S. 229].
Moriz von Kuffner starb nur wenige Monate nach der Flucht, am 5. März 1939 im Alter von 85 Jahren in Zürich.
Klemens von Klemperer beschrieb seinen Onkel Moriz später als "a painfully silent person" [Ref. 7.) S. 140]. Ein wenig mehr über Kuffners Persönlichkeit erfahren wir von dem österreichischen Schriftsteller und Lyriker Hugo von Hofmannsthal, der mit Elsa von Kuffners Cousine Gerty verheiratet war. Am 31. Jänner 1924 schrieb Hofmannsthal in einem Brief an Moriz von Kuffner: "[...] Lassen Sie es mich einmal aussprechen, mein lieber Herr von Kuffner, dass ich Ihnen in dieser Weise häufig begegne, und nie ohne ein schönes Gefühl. Ihr tiefer Lebensernst, die Gestalt, die Sie Ihrem Gespräch zu geben wussten, Ihre seltene wahre Bemühung um geistige Güter, die zarte bescheidene Abwägung und Lauterkeit des Urteils wirken in einem treuen Gedächtnis ein unzerstörbares Bild Ihrer geistigen Persönlichkeit. Sehr gütig und wohlwollend sind Sie mir immer begegnet. Möge das Gefühl liebevoller Achtung, mit dem ich Ihnen stets anhangen werde, Ihnen indem ich es ausspreche, auch etwas Freude bereiten." (Quelle: ➤ Claus Schellenberg, Moriz und Elsa von Kuffner-Stiftung)
Viele Verwandte fanden in Konzentrations- und Vernichtungslagern den Tod.
Jakob Kuffner hatte gemeinsam mit seiner Frau Nanette acht Kinder. Wilhelm, Karl und Rosa wurden in Lundenburg geboren, Hermine in Hernals, Franziska und Flora in Ottakring. Zwei Töchter,
Jenny und Regine, die ebenfalls in Ottakring zur Welt kamen, starben bereits im Kindesalter.
Jakobs ältester Sohn Wilhelm war genauso vielseitig wie Moriz von Kuffner, mit dem er so manche Interessen teilte. Er war ebenfalls Kunstsammler, wie Moriz Mitglied im Altertums-Verein und Unterstützer des Sonnblick-Vereins. Wilhelm Kuffner war ab 1900 im Vorstand der Kultusgemeinde und einst auch Präsident des Vereines für das israelitische Blindeninstitut auf der Hohen Warte in Döbling. In dieser Funktion hat er 1907 am ersten Österreichischen Kinderschutzkongress in Wien teilgenommen.
Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gründeten der Wiener Konzertverein und der Wiener Sängerhausverein die "Wiener Konzerthausgesellschaft", die den Bau des Wiener Konzerthauses plante. Bei der konstituierenden Generalversammlung die am 24. Juni 1910 stattfand, wurde Wilhelm Kuffner in die Direktion der Konzerthausgesellschaft gewählt. Seine Frau Camilla Kuffner war ab 1911 Mitglied des Damen-Kuratoriums für den Konzerthausbau. Wilhelm Kuffner war beim ersten Spatenstich am 9. Dezember 1911 ebenso dabei, wie bei der feierlichen Eröffnung des Konzerthauses die am 19. Oktober 1913 in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph I stattfand. Beim Cercle nach der Schlusssteinlegung wurde Wilhelm Kuffner als Mitglied der Direktion der Wiener Konzerthausgesellschaft auch dem Kaiser vorgestellt. Camilla Kuffner nahm ebenfalls an der Eröffnungsfeier teil. Die Konzerthausgesellschaft ist noch heute ein privater, gemeinnütziger Verein und Betreiberin des Wiener Konzerthauses.
Wilhelm Kuffner der 1923 starb, hinterließ seine Frau Camilla und drei Töchter, Hedwig, Frieda und Marianne. Wilhelms Sohn Erwin verstarb bereits 1901 im Alter von 23 Jahren. Erwin Kuffner war einer der vielen glühenden Verehrer der jungen Alma Mahler-Werfel (damals noch Schindler). Alma erwähnt ihn mehrmals in ihrem Tagebuch.
Camilla Kuffner lebte 1938 gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Marianne in der Döblinger Villa Vegagasse 20. Marianne die ledig blieb, war unter anderem im Ausschuss des Vereines Settlement tätig und Mitglied im "Verein der Freunde asiatischer Kunst und Kultur in Wien". Ihr Schwager Herbert von Klemperer war einer der Stifter dieses im Jahre 1925 gegründeten Vereins, der beachtliches auf dem Gebiet der Erforschung Ostasiens leistete [Ref. 43.) ].
Hedwig war Mutter von zwei erwachsenen Kindern und damals bereits Witwe. Ihr Mann, Dr. med. Otto Theodor Lindenthal starb 1922.
Frieda war mit dem Ingenieur Dr. Herbert Otto Klemperer von Klemenau verheiratet. Der Industrielle war erst Vorstandsmitglied und später Generaldirektor der Berliner Maschinenbau AG. Frieda lebte mit ihrem Mann und ihren vier Kindern, Lily, Alfred (genannt Fred), Franz und Klemens in Berlin. Die Familie verbrachte aber viele Sommer in Döbling.
Klemens von Klemperer war noch ein kleines Kind als sein Großvater starb, doch er erinnerte sich: "Grandfather Wilhelm Kuffner's home resounded with music; he played the piano, and among his quartet partners were the prodigy brothers Emanuel and Sigmund Feuermann." [Ref. 7.) S. 5]
Auch der Philosoph und Mathematiker Edmund Husserl besuchte die Döblinger Villa. Seine Frau Malvine war mit den Kuffners verwandt. Auf Wunsch ihrer in Proßnitz ansässigen Eltern, lebte Malvine ab ihrem zwölften Lebensjahr bei ihren Verwandten in Döbling und besuchte die Klosterschule St. Anna. Bei der Trauung von Malvine Steinschneider und Edmund Husserl, die 1887 in der evangelischen Stadtkirche in Wien stattgefunden hat, war Wilhelm Kuffner Malvines Trauzeuge. Nicht nur Malvine, auch Camillas Tochter Hedwig und deren Mann Otto waren zum evangelischen Glauben konvertiert.
Jakob Kuffners Tochter Franziska (genannt Fanny) war mit dem Bankier Dr. Emil Schlesinger (Generalsekretär der Anglo-Österreichischen Bank) verheiratet, dem sie vier Kinder schenkte, Gertrude (Gerty), Hans, Friedrich (genannt Fritz) und Marie. Gerty konvertierte im Jahr 1900 zum römisch-katholischen Glauben. Am 8. Juni 1901 heiratete sie den Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal. Das Paar mietete das "Fuchs-Schlössl" (heute Hofmannsthal-Schlössl) in Rodaun, wo Gerty bis zu ihrer Flucht nach England lebte. Hans Schlesinger, ein Jugendfreund von Hugo von Hofmannsthal und des Schriftstellers Leopold von Andrian, studierte in Paris Malerei. 1894 mietete er sich in einem Atelier bei der Künstlergruppe "La Palette" ein. [Ref. 22.) S. 49] Hans Schlesinger konvertierte 1910, ist später dem Dominikanerorden beigetreten und wurde 1919 als Pater Antonin geweiht. Er starb am 13.
März 1932 in Salzburg. Marie (genannt Mimi) war mit dem Geschäftsmann Dr. Arnold Schereschewsky verheiratet.
Fanny Schlesingers Schwester Hermine Kuffner heiratete den Fabrikanten Dr. Julius Baum aus Bielitz. Ihr Sohn hieß Max, ihre Tochter Friedrike (genannt Fritzi). Fritzi Baum vermählte sich am 16. Juli 1908 mit Alfred von Mierka, der nach seiner Ausbildung an der Militär-Akademie in Wiener Neustadt bei den Husaren und im Generalstab in Budapest diente. Während des ersten Weltkrieges wurde er 1915 mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.
Julius Baums Familie besaß eine Schafwollwarenfabrik in Bielitz und eine Zweigniederlassung in Wien. Nach dem Tod seines Vaters Gustav Baum leitete seine Mutter Friederike das Unternehmen. Julius Baum war nach Abschluss seines Jurastudiums Prokurist und ab 1890 Inhaber der Firma "Gustav Baum". Hermine Baum, bekannt für ihren Kunstsinn und als Mäzenin junger Talente, war eine mütterliche Freundin und Unterstützerin der Opernsängerin Selma Kurz, die wie ihr Mann aus Bielitz stammte. Doch der Gönnerkreis dehnte sich rasch auf Fanny Schlesinger und weitere Mitglieder der Familie Kuffner aus. 1899 wurde Selma Kurz von Gustav Mahler an die Wiener Hofoper engagiert.
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts etablierte sich um den Dichter und Schriftsteller Hermann Bahr die Gruppe "Jung Wien" der unter anderen Hugo von Hofmannsthal, Peter Altenberg, Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann und Leopold von Andrian angehörten. Die Begründer der literarischen Moderne in Österreich, trafen sich zunächst meist im Café Griensteidl. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war Fanny Schlesingers Salon ebenfalls ein beliebter Treffpunkt der Jung-Wiener Schriftsteller und Künstler. Auch Hugo von Hofmannsthal verbrachte viel Zeit bei seiner Schwiegermutter, die nach dem Tod ihres Mannes im 1. Bezirk, Elisabethstraße 6 lebte.
Hermann Bahr, ein sehr guter Freund der Familie, besuchte Hans Schlesinger später auch noch im Dominikanerkloster (➤ Hermann Bahr, Tagebuch 1917, S. 9. archive.org).
Hans Schlesingers jüngerer Bruder Fritz legte seine Maturaprüfung am Schottengymnasium in Wien ab. Im Oktober 1902 immatrikulierte er an der Handelshochschule in Leipzig. Neben den kaufmännischen Studien interessierten ihn die Nationalökonomie, Philosophie und Jurisprudenz. Nach seiner Diplomprüfung 1905 überwogen seine nationalökonomischen Interessen und so immatrikulierte er an der philosophischen Fakultät in Leipzig wo er 1907 promovierte [Ref. 18.) ]. 1919 heiratete Fritz Schlesinger Marianne Geiringer. Das Paar lebte im 4. Bezirk, Theresianumgasse 5.
Schon am 1. April 1938 ging der erste Transport - der so genannte "Prominententransport" - mit Österreichern in das KZ Dachau. Im September 1938 kamen die ersten österreichischen Juden über Dachau nach Buchenwald. Unter ihnen befand sich auch Dr. Fritz Schlesinger, ehemaliger Direktor der Elin AG, der im Zuge der Arisierung bereits Mitte Mai seines Amtes enthoben wurde. Am 17. Juni 1938 wurde Schlesinger nach Dachau deportiert. Am 23. September kam er nach Buchenwald (➤ Quelle: DÖW). Elsa von Kuffners Cousin Fritz Schlesinger wurde bereits am 30. Dezember 1938 im KZ Buchenwald ermordet (➤ Yad Vashem). Marianne Schlesinger flüchtete Anfang des Jahres 1939 nach New York.
Die Politikerin Therese Schlesinger, eine Vorkämpferin des Frauenwahlrechts und des Mutterschutzes, war eine Tante der Geschwister Schlesinger. Sie war die Frau von Emil Schlesingers Bruder Victor. Therese Schlesinger geborene Eckstein, war wie ihre Freundin Marie Lang im Allgemeinen Österreichischen Frauenverein und trat 1897 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei. Sie gehörte zu den ersten Frauen die 1919 als sozialdemokratische Mandatarinnen ins Parlament gewählt wurden. Von 1919-1923 war sie Abgeordnete zum Nationalrat und von 1923-1930 Bundesrätin. 1939 musste sie im Alter von 76 Jahren nach Frankreich fliehen. Therese Schlesinger, geboren am 6. Juni 1863 in Wien, starb am 5. Juni 1940 in Blois bei Paris.
Die Villa in der Camilla Kuffner mit ihrer Tochter Marianne lebte, wurde ab März 1938 mehrfach geplündert. Die beiden Frauen wurden extrem unter Druck gesetzt. Camilla und ihre Töchter waren Miteigentümerinnen des Brauerei-Unternehmens. Am 22. April, das heißt vermutlich noch vor der Verhaftung von Moriz und Stephan Kuffner, wurde Marianne Kuffner von zwei Beamten der Gestapo verhört. Dabei hat man die Enteignung der Villa ausgesprochen sowie die Landesverweisung von Marianne und Camilla Kuffner. Marianne sollte zwischen 10. und 15. Mai 1938 das Land verlassen.
Auch der Besitz von Camillas Tochter Hedwig Lindenthal wurde beschlagnahmt. Hedwig lebte in der Pelikangasse 10 im 9. Bezirk. Praktisch gegenüber dem ehemaligen Sanatorium Loew, dem ihr Mann einst als Direktor vorstand.
Am 30. April hat man auch Hedwig Lindenthal mitgeteilt, dass sie das Land verlassen muss [Ref. 19.) S. 29].
Klemens von Klemperer war Zeuge der Vorgänge, denn er studierte zu dieser Zeit in Wien und wohnte bei seiner Großmutter Camilla Kuffner.
Klemens sah Österreich als seine zweite Heimat. Nach seinem Schulabschluss ging er auf Wunsch des Vaters von Berlin an das Balliol College in Oxford, kam aber schnell wieder zurück, weil er hoffte man könne die Gefahren für Österreich noch abwenden. Er war bereit Widerstand zu leisten. Ab 1934 studierte er deshalb Rechtsgeschichte in Wien. Gemeinsam mit seinen Freunden Fritz und Otto Molden schloss er sich den "Grauen Freikorps", einer studentischen Bewegung von Nazi-Gegnern an.
2001 schilderte Klemens von Klemperer noch einmal wie er den "Anschluss" in Wien erlebt hatte: "Meine Freunde und ich wurden in eine Kaserne eingezogen, und eine Art Museumswärter erschien, um Gewehre an uns zu verteilen, mit denen wir uns gegen das Unvermeidliche stemmen sollten. Man hätte meinen können, dass diese Gewehre aus dem Arsenal des Dreißigjährigen Krieges stammten. Jedenfalls hatte ich noch nie ein Gewehr gehandhabt und hatte keine Ahnung, wie man schießt. Doch bald stellte jemand ein Radio an, und wir hörten die Stimme des Bundeskanzlers, der Bundespräsident hätte ihn beauftragt, dem österreichischen Volk mitzuteilen, „dass wir der Gewalt weichen“. Dann wurden die Gewehre wieder eingesammelt, und wir, ein verlorener Haufen, stolperten in die Innere Stadt hinein, wo wir auf eine wilde, johlende Masse Menschen stießen, wie ich sie noch nie, nicht einmal am 30. Januar 1933, der sogenannten „Machtergreifung“ in Berlin, erlebt hatte." [Ref. 37.) ]
Nach diesen Ereignissen fuhr Klemens von Klemperer mehrmals nach Berlin, um seine Ausreisegenehmigung zu beantragen. Denn auch ihm blieb nicht viel Zeit. Als er von einer dieser Reisen zurückkehrte, hing bereits eine riesige Hakenkreuz-Fahne am Haus. Er war dabei als ausgesprochen wurde, dass die Kuffners aus Österreich verbannt werden und die SA seine Familie aus dem Haus vertrieb. Ehe sie gehen mussten, verteilte Klemens von Klemperer überall im Haus kleine Zettel auf die er Sätze schrieb wie: "Unser Haus könnt ihr uns nehmen, unseren Stolz nicht." Er selbst beschrieb diese Aktion später als "ziemlich kindisch". Doch es war die einzige Waffe, die er hatte. [Ref. 7.) S. 33]. Klemperer erhielt im November 1938 in Berlin die Ausreisegenehmigung. Er ging nach New York wo seine Brüder bereits auf ihn warteten. Aus der Gruppe seiner Wiener Freunde ging nach dem "Anschluss" die "O5", eine Organisation des österreichischen Widerstands, hervor.
Camilla und ihre Töchter Marianne und Hedwig mussten in eine Josefstädter Pension übersiedeln. Dort blieben sie bis zu ihrer Flucht nach Frankreich, die sicher rasch nach den Verhandlungen mit der Gestapo stattgefunden haben muss.
Von den drei Frauen hat nur Camilla Kuffner das Exil in Beaulieu sur Mer überlebt. Elsa von Kuffners Cousinen Marianne und Hedwig wurden verhaftet und kamen in das Sammellager Drancy, einem Vorort von Paris. Das Lager Drancy wird als "Vorzimmer von Auschwitz" bezeichnet. Denn ab dem 27. März 1942 wurden 67.000 Juden von Drancy in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten deportiert. Vor allem nach Auschwitz.
Auch die beiden Töchter von Camilla Kuffner, Marianne und Hedwig wurden nach Auschwitz verbracht und ermordet. Marianne Kuffner wurde am ➤ 7. September 1942 deportiert (Yad Vashem), ihre Schwester Hedwig Lindenthal am ➤ 17. Dezember 1943 (Yad Vashem).
Hedwig Lindenthals Kinder Eva und Hans konnten sich retten. Eva Mandl flüchtete 1938 mit ihrem Mann nach Liechtenstein und später nach England. Hans Lindenthal flüchtete mit seiner Frau Erika und seinem Sohn Max nach Australien, wo sie später offiziell ihren Namen ändern ließen (Lindenthal/Linton).
Jakob Kuffners Tochter Flora, war mit dem Fabrikanten Maximilian Duschnitz verheiratet. Ein Sohn des Paares, der Bergingenieur Paul Duschnitz heiratete Annie Klemperer. Paul und Annie wohnten im 19. Bezirk, Dollinergasse 5. Annies Vater Felix Klemperer (Direktor der Berliner Maschinenbauaktiengesellschaft), war der Bruder von Klemens von Klemperers Großvater Gustav Klemperer.
Pauls Vater Max Duschnitz war 1894 gemeinsam mit seinem Bruder Karl, als Gesellschafter in die von Sigmund, Adolf und Justus Lieser gegründete Mechanische Hanfspinnerei, Bindfaden- und Seilfabrik in Pöchlarn eingetreten. 1919 wurde der Betrieb "Lieser & Duschnitz" gemeinsam mit anderen Firmen zur HITIAG Aktiengesellschaft zusammengeschlossen.
Justus Frau Henriette Amalie Lieser, genannt Lilly, war eine Freundin von Alma Mahler-Werfel. Die Mäzenin Lilly Lieser unterstützte unter anderem den Komponisten Arnold Schönberg [Ref. 28]. Justus und Lilly ließen sich 1905 scheiden und blieben danach unverheiratet. Helene Lieser, eine ihrer beiden Töchter, promovierte als erste Frau in Österreich an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät [Ref. 29].
Paul Duschnitz stellte 1928 seinen Vorschlag für die seit Jahrzehnten geplante Wiener Höhenstraße vor. Seine Idee einer "Schubertstraße" zu Ehren des Komponisten, dessen Todestag sich im November 1928 zum hundertsten Mal jährte, wurde jedoch nicht umgesetzt [Ref. 30]. Paul Duschnitz war bis 1932 Gesellschafter der Firma "Lieser & Duschnitz". Justus Bruder Dr. Ernst Lieser war viele Jahre Prokurist des Unternehmens. Paul Duschnitz und Ernst Lieser waren außerdem von Oktober 1929 bis Juni 1938 Vorstandsmitglieder der Pielachberger Hanfspinnerei.
Am 1. Jänner 1942 wurde Lilly Lieser (geboren am 4. Juli 1875) in das Konzentrationslager Riga deportiert, wo sie am 3. Dezember 1943 starb. Ihre Töchter Helene Berger (geboren am 16. Dezember 1898) und Annie Becker (geboren am 12. Juni 1901) konnten flüchten. Dr. Ernst Lieser wurde am 13. Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert. Er starb am 29. Jänner 1943 (➤ DÖW).
Annie Duschnitz flüchtete von Wien nach Südfrankreich. Ihr letzter bekannter Aufenthaltsort war Châteauneuf-Grasse, wo sie spurlos verschwand. ➤ Sie wurde ebenfalls in der Shoah ermordet (Yad Vashem). Ihr Mann Paul Duschnitz schaffte es noch 1938 nach England.
Pauls Schwester Martha war mit dem Chirurgen und Orthopäden Guido Engelmann verheiratet, dem sie drei Kinder schenkte. Ihre Tochter Maria Nanette Engelmann vermählte sich 1932 in Wien mit dem Flugpionier und Luftfahrt-Ingenieur Dr. Wolfgang Benjamin Klemperer. Wolfgangs Vater Leon Klemperer war ein Bruder von Annie Duschnitz Vater Felix und von Herbert von Klemperers Vater Gustav. Wolfgang Klemperer, der schon im ersten Weltkrieg Beobachtungsflieger an der Front war, gewann 1920 mit einem selbstkonstruierten Eindecker den ersten Rhön-Segelflugwettbewerb. 1922 wurde Klemperer Leiter der Versuchsabteilung bei Zeppelin in Friedrichshafen und 1924 ging er als Versuchsleiter zur gerade erst neu gegründeten Goodyear-Zeppelin Corporation nach Akron, Ohio/USA.
Prof. Guido Engelmann, Privatdozent an der Medizinischen Fakultät, wurde am 22. April 1938 seines Amtes enthoben und von der Universität Wien vertrieben. Die Familie flüchtete nach Amerika. Rudolf Duschnitz, der Bruder von Paul und Martha, heiratete später Fritz Schlesingers Witwe Marianne.
Jakob Kuffners Bruder Hermann blieb in Lundenburg. Der Autor der kleinen Familienchronik, leitete dort die Zuckerfabrik und war lange Bürgermeister der Gemeinde. 1900 wurde auch er in den Adelsstand erhoben. Hermann Hirsch Edler von Kuffner und seine Frau Johanna hatten zwei Kinder, Ludwig und Anna. Anna von Kuffner heiratete den Gutsbesitzer und Großindustriellen Gustav Redlich von Vežeg aus Brünn. Ihre Söhne hießen Hans und Kurt. Annas Bruder Ludwig von Kuffner leitete gemeinsam mit seinen Neffen Hans und Kurt von Redlich die Hernalser Brauerei "Kuffner & Redlich", bis diese 1936 stillgelegt wurde. Ludwig von Kuffner war auch Vizepräsident der Diószegher Zuckerfabrik A. G.
Hans von Redlich studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien ehe er in den Familienbetrieb einstieg. Er promovierte am 17. Juli 1906 an der Juridischen Fakultät.
1928 beschlossen mährische Zuckerindustrielle, unter ihnen auch die Redlich-Gruppe unter der Führung von Hans von Redlich, gemeinsam mit der Creditanstalt für Handel und Gewerbe, den Bau einer Zuckerfabrik in Oberösterreich. Am 21. Jänner 1929 fand die konstituierende Generalversammlung der "Oberösterreichischen Zuckerfabriks A. G." statt. In den Verwaltungsrat wurden unter anderem Ferdinand Bloch-Bauer, Dr. Hans von Redlich, dessen Cousin Dr. Felix Redlich und Dr. Harry Redlich gewählt. Der Bau der Zuckerfabrik bei Enns war im September 1929 abgeschlossen.
1938 wurden die Redlichs und acht weitere Vorstandsmitglieder gezwungen ihre Posten zurückzulegen. Hans und Felix Redlich flüchteten nach Kanada, Harry Redlich in die Schweiz.
Von der Universität Wien wurden 45% aller ProfessorInnen und DozentInnen (320 Personen) und 2.230 Studierende aus "politischen" oder "rassischen" Gründen vertrieben. Mehr als 230 Personen, darunter Hans, Felix und Harry Redlich, hat man auch ihre akademischen Grade aberkannt. Erst zehn Jahre nach Kriegsende, im Mai 1955, wurde ihnen der Doktorgrad wieder zuerkannt. 32 Betroffenen wurde der akademische Grad allerdings erst am 10. April 2003 wieder zuerkannt, nachdem im Jahr 2002 eine neue Liste aufgetaucht war. Eine umfassende Aufarbeitung der Aberkennungen während der NS-Zeit hatte bis dahin nicht stattgefunden.
Hans Redlichs Bruder Kurt, war ein bekannter Mäzen der unter anderem den Dichter Wladimir von Hartlieb unterstützte. Er war einst auch im Ausschuss des Wiener Volksbildungsvereines, dem er hohe Spenden für den Bau eines Volksbildungshauses zukommen ließ und Vizepräsident des Wiener Tonkünstlerorchesters. Nach der Auflösung des Vereins "Freie Volksbühne", der im Theater in der Neubaugasse (heute Renaissancetheater) Vorstellungen veranstaltet hatte, wurde 1915 der Verein "Neue Freie Volksbühne" gegründet. Die Neue Freie Volksbühne, sah ihr Ziel in einer von keiner politischen Richtung begrenzten Freiheit der Kunst. Das Motto der Volksbühne lautete: "Die Kunst dem Volke!". Gründungsmitglieder des Vereins waren unter anderem, Hugo von Hofmannsthal, Adolf Loos, Arthur Schnitzler und Kurt von Redlich.
Kurt Redlich, der bis zum "Anschluss" noch im 3. Wiener Gemeindebezirk, Lothringerstraße 16 wohnte, wurde am 13. Juli 1942 von Prag nach Theresienstadt deportiert (➤ http://www.holocaust.cz). Nur einen Tag später, am 14. Juli 1942, hat man Hermann von Kuffners Enkelsohn nach Maly Trostinec überstellt und dort ermordet [Ref. 21.) ].
Jakob Kuffners Schwester Charlotte heiratete Rudolf Iritzer. Ihr einziger Sohn Anton hatte mit seiner Frau Amalie vier Kinder, Siegfried, Anna, Elsa und Maria (Mitzi, Marie). Anton Iritzer war Besitzer einer Malzfabrik in Kaiserebersdorf. Die Firma war 1893 auch bei der Weltausstellung in Chicago vertreten. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1903 übernahm Siegfried Iritzer die Leitung des Unternehmens.
Anna Iritzer war mit dem Juristen Dr. Bernhard Brecher verheiratet. Ihre Tochter hieß Charlotte, genannt Lilly (Lilli).
1938 wohnte die Familie noch im 1. Bezirk, Lichtenfelsgasse 7. Bernhard Brechers Kanzlei befand sich im gleichen Bezirk, Schellinggasse 6. Bereits ab 1939 ist der Name Brecher in Lehmann's Wiener Adressbuch nicht mehr zu finden, weder im Branchenverzeichnis noch im Personenverzeichnis. Der Ausschluss der jüdischen Mitbürger aus der Gesellschaft zeigt sich auch im Adressbuch. Zuerst waren vor allem Ärzte, Rechtsanwälte und Gewerbetreibende betroffen. Später mussten alle Juden aus dem Verzeichnis verschwinden. Im Adressbuch von 1941 findet sich am Ende des Inhaltsverzeichnisses der Hinweis: "Zur Beachtung! Juden, die als solche für uns nach dem Runderlass des RMdJ vom 18. August 1938 sowie nach der 2. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen erkennbar waren, wurden von der Aufnahme ausgeschlossen."
Dieser Text bezieht sich auf das Namensänderungsgesetz von 1938. Jüdinnen und Juden wurden gezwungen den Zusatznahmen "Sara" beziehungsweise "Israel" zu tragen. Alle offiziellen Dokumente mussten dementsprechend geändert werden. Daher findet man selbst in den Geburtsbüchern häufig den Stempel: "Annahme des Zusatznamens Sara (bzw. Israel) angezeigt".
Lilly Brecher wurde am 12. Mai 1942 nach Izbica deportiert und ermordet. Ihre Eltern hat man am 28. Juni 1942 nach Theresienstadt verbracht. Beide kamen im KZ Theresienstadt ums Leben. Bernhard Brecher starb am 13. November 1942, seine Frau Anna Brecher am 5. Jänner 1944 (➤ Quelle: DÖW). Bernhard Brechers Schwester wurde am 14. Juli 1942 ebenfalls von Wien nach Theresienstadt deportiert. Susanne Sara Zerner (geb. Brecher) geboren am 6. Juli 1871 starb am 6. Dezember 1942 in Theresienstadt (➤ Quelle: DÖW).
Ende 1938 hatte man in Wien bereits um die 44.000 Wohnungen "arisiert", obwohl es kein Gesetz gab, welches Hauseigentümer dazu gezwungen hätte, jüdische MieterInnen zu delogieren. Insgesamt waren in Österreich um die 100 Bankhäuser und 946 Großbetriebe von "Arisierung" und Liquidation betroffen. In Wien wurden tausende Klein- und Mittelbetriebe "arisiert". Viele "Ariseure" schalteten sogar Anzeigen in Tageszeitungen mit dem Zusatz "arisiert durch". Von den 70.000 Wiener Wohnungen mit jüdischen MieterInnen wurden 63.000 "arisiert". Auch die Familie Brecher lebte zum Zeitpunkt ihrer Deportation nicht mehr in der Lichtenfelsgasse, sondern in einer sogenannten "Sammelwohnung" in der Rembrandtstrasse 22/14 im 2. Bezirk. In diesen Unterkünften mussten mehrere Familien auf engstem Raum zusammenleben, nachdem sie aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Von dort brachte man die Menschen in Sammellager, ehe sie KZ-Transporten zugewiesen wurden.
Annas Schwester Maria Iritzer, heiratete den Arzt Dr. Siegmund Erben (oft auch Sigmund geschrieben). 1907 kam ihr Sohn Peter Anton zur Welt. Die Familie lebte damals in der Teinfaltstraße 7
im 1. Wiener Gemeindebezirk [Korrektur 1.)].
Siegmund Erben promovierte am 19. Juli 1886 an der Universität Wien. Der Internist und Neurologe leitete einst die spezialärztlichen Ambulatorien für Nervenkrankheiten beim Verband der Wiener Genossenschaftskrankenkassen. Maria Erben konvertierte zum römisch-katholischen Glauben. Sie wurde ebenso wie ihr Sohn Peter, am 25. Mai 1914 in Wien getauft.
Peter Erben nahm am 14. März 1938 Friedrike Bittner zur Frau, die in Wien die "Kunstschule für Frauen und Mädchen" absolviert hatte. Danach studierte sie ein Semester an der Akademie der bildenden Künste. Friedrikes Vater war der Historiker Dr. Ludwig Bittner, der 1926 Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs und am 7. August 1941 Direktor des Reichsarchivs Wien wurde.
Am 24. März 1938, nur zehn Tage nach der Eheschließung, enterbte Ludwig Bittner seine Tochter. Der Grund: "Da meine Tochter Friederike durch ihre Heirat mit einem Juden-, ohne Wissen und Willen ihrer Eltern! – ihr Volk und ihr Elternhaus verraten hat [...] " [Ref. 25.) S. 303] Peter und Friederike Erben flüchteten über Belgien nach Amerika, kamen aber nach dem Krieg zurück nach Wien. Friedrikes Eltern begingen am 3. April 1945 Selbstmord.
Am 24. September 1942 hat man Siegmund Erbens Schwester Fanny Kopperl, die zuletzt am Schottenring wohnte, nach Theresienstadt verbracht, wo sie am 1. Mai 1943 starb. Laut dem Wiener Adressbuch lebten Siegmund und Marie Erben bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten, im 1. Bezirk, in der Grillparzerstraße 14 (5-6). Danach wurden sie offenbar aus ihrer Wohnung vertrieben. Die letzte bekannte Adresse des Paares in Wien war am Schottenring 25/12b. Am 9. Oktober 1942 wurden Maria und Siegmund Erben sowie 1337 weitere Menschen mit Transport IV/13 von Wien nach Theresienstadt deportiert. Die römische Ziffer (von I bis XXVI) der Transportnummer verriet den Herkunftsort (IV = Wien), die arabische Ziffer den jeweiligen Transport. So war IV/13 bereits der dreizehnte Transport aus Wien. Prof. Dr. Siegmund Erben starb am 12. Dezember 1942 in Theresienstadt (➤ DÖW). Maria Erben überlebte. Sie starb 1965 in Wien.
Ignaz von Kuffners Schwester Charlotte (Lotti) war mit dem Kaufmann Moriz Deutsch verheiratet, der in Pressburg eine Kurzwaren-Firma gründete, die später "Moriz Deutsch's Söhne" hieß. Das Paar hatte zwei Töchter, Rosa und Karoline und zwei Söhne, Jacob und Heinrich. Rosas Enkeltochter Alice heiratete 1915 Jakob Lampl. Ihr Sohn Franz Peter Lampl kam am 25. Jänner 1916 in Wien zur Welt. Er studierte an der Hochschule für Welthandel. Die Familie lebte im 19. Bezirk, Hohe Warte 48. Dr. Jakob Lampl war Präsident der Wiener Nauseawerke AG für Eisen- und Metallindustrie und seine Frau im Verwaltungsrat der Firma.
1938 wurde Franz Peter gezwungen sein Studium abzubrechen und seine Eltern wurden Opfer der "Arisierung".
Franz Peter Lampl flüchtete zunächst nach Lundenburg. Wo er sich während des Krieges aufhielt ist nicht bekannt, doch er hat überlebt. 1946 kam er für eine Woche von Paris nach Wien um sich eine Bescheinigung über die Erste Prüfung ausstellen zu lassen, die er Jahre zuvor an der Hochschule abgelegt hatte. Danach ging er zurück nach Paris. (➤ Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Hochschule für Welthandel 1938-1945)
Seine Eltern wurden in der Shoah ermordet. Alice und Jakob Lampl wurden am 5. Dezember 1941 von Brünn nach Theresienstadt deportiert und am 15. Jänner 1942 von dort nach Riga. (Buch der Erinnerung / Book of Remembrance: Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, 2003, Seite 503 und: http://www.holocaust.cz ➤ Alice Lampl (Alice Lamplová), ➤ Jakob Lampl (JUDr. Jakub Lampl)
Karoline Deutsch heiratete den Kaufmann Josef Schick, der später in das Familienunternehmen seiner Frau einstieg. Josef Schick war außerdem Zensor der Österreichisch-Ungarischen Bank. Gisela (Pollak), eine Tochter des Paares, nahm 1901 in zweiter Ehe den Zahnarzt Dr. Armin Liptay (auch Liptai) zum Mann, der seine zehnjährige Tochter Charlotte (Lotte) mit in die Ehe brachte. Diese Ehe wurde 1911 wieder aufgelöst und Gisela zog in die elterliche Wohnung, Ferstelgasse 6/14 im 9. Bezirk. Laut dem Wiener Adressbuch war Gisela eine Sprachenprofessorin. Gisela Liptay, geboren am 30. August 1865 in Pressburg, wurde am 6. Mai 1942 von Wien nach Maly Trostinec deportiert und dort am 11. Mai 1942 ermordet (➤ DÖW).
Armins Tochter Charlotte heiratete 1913 den Zahnarzt Dr. Karl Hatschek, dem sie zwei Kinder schenkte, Fritz und Lisbeth. Die Familie lebte im 1. Bezirk, Stubenbastei 1/3. Die Zahnarztassistentin Charlotte Hatschek geboren am 26. März 1891 in Wien, wurde gemeinsam mit ihrem Mann Karl, geboren am 29. Dezember 1870 in Brünn, am 27. August 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dr. Karl Hatschek starb am 21. August 1943 in Theresienstadt. Charlotte Hatschek wurde am 12. Oktober 1944 nach Auschwitz überstellt. Sie hat nicht überlebt (➤ DÖW). Auch ihr Sohn Fritz, geboren am 25. Jänner 1914 in Wien, wurde ermordet (➤ Yad Vashem), laut ➤ www.holocaust.cz am 06. 06. 1943 in Auschwitz. Lisbeth Antonia Hatschek, geboren am 29. Dezember 1918 in Wien, konnte sich retten. Sie flüchtete nach London und führte später den Familiennamen Lowy.
Heinrich Deutsch, öffentlicher Gesellschafter der Firma "Moriz Deutsch's Söhne, Wien - Pressburg", heiratete Clementine Eisler. Deren Tochter Clara (Clarissa) hatte mit ihrem Mann Dr. Georg Fischer zwei Söhne, Heinrich geboren 1903 und Günther geboren 1907. Beide kamen in Wien zur Welt. Die Familie wohnte damals noch im 9. Bezirk Günthergasse 3. Später lebten sie am Schottenring 35. Clara konvertierte zum römisch-katholischen Glauben. Sie und ihre beiden Söhne wurden am 8. Mai 1909 getauft. Heinrich Fischer ist der Vater des österreichischen Schriftstellers Wolfgang Georg Fischer. Heinrichs Bruder Günther war Anwalt und wohnte bis zu seiner Flucht nach Zagreb 1938 am Schottenring 35. Dr. Günther Fischer wurde von Zagreb nach Auschwitz deportiert und am 9. Februar 1943 ermordet. (➤ Quelle: DÖW)
Ignaz von Kuffners Schwester Josephine, war in erster Ehe mit Sigmund Götzel und in zweiter Ehe mit Leopold Fuchs verheiratet. Josephines Tochter Anna (aus erster Ehe), geboren 1852 in Wien, schenkte ihrem ersten Mann Alexander Strakosch drei Kinder, Hermance, Mika Marie und Hans. Alexander Strakosch war Schauspieler und ab 1888 Professor an der Akademie für Tonkunst in München.
Anna und Alexander Strakosch ließen sich 1890 wieder scheiden. Am 10. März 1891 heiratete Anna den deutschen Schriftsteller Gustav Freytag, den sie bereits 1883 kennengelernt hatte. Anna Strakosch-Freytag starb am 1. November 1911. Hermance Strakosch veröffentlichte 1912 Gustav Freytags Briefe an ihre Mutter (➤ "Gustav Freytags Briefe an seine Gattin" archive.org). Annas Tochter Mika Marie wurde 1944 nach Theresienstadt deportiert. Mika Marie Strakosch überlebte.
Emil Fuchs Schwester (Anna Strakosch-Freytags Halbschwester) Therese vermählte sich 1892 mit Rudolf Pollack, der viele Jahre für das Bankhaus Philipp Gomperz tätig war. Die beiden Söhne der Pollacks hießen Leo Gustav und Friedrich Franz. Leo Gustav Pollack kam am 18. Juni 1893 in Wien zur Welt, wo er später auch Medizin studierte. Er fiel im ersten Weltkrieg am 3. August 1916 bei Rudka. Rudolf Pollack, der im Sommer 1914 mit dem Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens ausgezeichnet wurde, lebte bis 1939 im 1. Bezirk, Führichgasse 6. Sein letzter bekannter Wohnort vor der Deportation am 10. September 1942, war eine Sammelwohnung im 9. Bezirk, Seegasse 9. Rudolf Pollack, geboren am 25. Februar 1856 in Velke Mezirici (Groß Meseritsch) starb am 8. November 1942 in Theresienstadt (➤ DÖW).
Ein Enkelsohn von Hermann von Kuffners Cousine Louise Kuffner, wurde ebenso wie Kurt von Redlich im Vernichtungslager Maly Trostinec ermordet. Wilhelm Blau, der Sohn von Dr. Ludwig (Hof- und Gerichtsadvokat) und Rosa Rachel Blau, wurde 1937 von Gisela Loth adoptiert und trug ab diesem Zeitpunkt den Familiennamen Forstner, Gisela Loths Mädchennamen. Wilhelm Forstner lebte im 9. Bezirk, Liechtensteinstrasse 11. Am 6. Mai 1942 wurde er nach Maly Trostinec deportiert wo er bereits am 11. Mai 1942 starb (➤ DÖW).
Anna (Anni) Holitscher geboren am 6. Mai 1864 in Wien und ihre Schwester Helene, geboren am 28. Juni 1866 in Wien, waren Töchter von Elsa von Kuffners Onkel Anton Holitscher, dem Bruder von Elsas Vater Friedrich. Anna und Helene hatten noch zwei Geschwister, Sophie und Arnold. Elsas Großvater Moritz Ignatz Holitscher war Besitzer einer Ölfabrik in Pest. Sein ältester Sohn Philipp blieb in Ungarn und übernahm später die Leitung des Familienbetriebs. Philipps Brüder, Anton und Elsas Vater Friedrich gründeten am 1. Juli 1866 die Offene Gesellschaft "Ant. & Fried. Holitscher". Sie waren Besitzer einer Ölfabrik mit Raffinerie und eines Brauhauses in Gaudenzdorf. Elsas Onkel Philipp Holitscher war übrigens nicht nur Fabrikant und Gutsbesitzer, sondern auch Schriftsteller. Unter dem Pseudonym Fidelius schrieb er zahlreiche volkswirtschaftliche Aufsätze für in und ausländische Zeitschriften, ehe er sich im Alter auch der Dichtung zuwandte. Zu seinen Werken zählen unter anderem "Im Banne Fortunas" (1882), "Gedanken und Gestalten" (1887), das 1898 erschienene Werk ➤ "Giordano Bruno" (archive.org) und ➤ "Neues Leben" (archive.org). Philipp Holitscher starb am 3. Oktober 1904 in Budapest.
Anna Holitscher war eine Freundin des österreichischen Schriftstellers Peter Altenberg. Arthur Schnitzler, der sie ebenfalls verehrte, schrieb in seiner Autobiographie: "Eine hübsche Brünette aus gleichen, nur weniger begüterten Kreisen, freier und aufgeweckter und von humorhafterem Wesen, Anni Holitscher, war in Peter Altenberg verliebt, der damals noch Richard Engländer hieß; und da sie eine seltsame innere Ähnlichkeit zwischen mir und ihm zu entdecken behauptete, fiel ein Strahl ihrer Sympathie für ihn auch auf mich." (➤ Arthur Schnitzler, "Jugend in Wien", entstanden 1915–1918 (Zeno.org) ) Briefe von Peter Altenberg an Anna, Helene und deren Mutter Charlotte (geb. Arnstein), blieben bis heute erhalten. Charlotte Holitscher war ebenso wie Jakob Kuffners Frau Nanette Mitglied des 1866 gegründeten "Wiener Frauen-Erwerb-Vereins", der sich für Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten für Frauen einsetzte.
Anna Holitscher blieb ledig. Ihre Schwester Helene heiratete 1897 im Wiener Stadttempel den Geschäftsmann Ignaz Sommer. Das Paar bekam eine Tochter und zwei Söhne. Die Familie wohnte in Prag. Von den Kindern überlebte nur Helenes Sohn Hans, der mit Zdenka Kraus verheiratet war. Hans Sommers Frau Zdenka, geboren am 30. Mai 1906, seine zehnjährige Tochter Eva und sein siebenjähriger Sohn Otto, wurden in der Shoah ermordet. Sie wurden am 22. Dezember 1942 von Prag nach Theresienstadt und am 18. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert (➤ www.holocaust.cz).
Helenes Tochter Edith, geboren am 4. August 1901 in Březová (Pirkenhammer) wurde am 26. Oktober 1941 gemeinsam mit ihrem Mann Dr. med. Felix Mautner von Prag nach Litzmannstadt deportiert (➤ www.holocaust.cz). Edith Mautner wurde 1944 in Auschwitz (➤ Yad Vashem) ermordet. Auch Felix Mautner hat nicht überlebt (➤ www.holocaust.cz).
Ediths Bruder Leopold war ein sehr guter Violinist. Allerdings war er nicht davon überzeugt, mit professionellen Musikern mithalten zu können. Daher entschied er sich Betriebswirtschaft zu studieren und arbeitete danach bei einem britischen Import-Export-Unternehmen in Hamburg. Mehrmals im Jahr besuchte er seine Familie in Prag. Im Juli 1931 heiratete Leopold Sommer, die bekannte Konzertpianistin Alice Herz, die er während eines dieser Besuche kennengelernt hatte [Ref. 31.) ]. Im Elternhaus von Alice Herz verkehrten unter anderem Franz Kafka und Gustav Mahler. Alice und Leopolds einziger Sohn Stefan kam 1937 in Prag zur Welt.
1942 wurde Alices kranke Mutter Sophie Herz nach Theresienstadt und einige Monate später nach Treblinka deportiert. Alice, Leopold und Stefan Sommer hat man am 5. Juli 1943 nach Theresienstadt verbracht, wo sie getrennt voneinander leben mussten. Leopold Sommer, geboren am 13. Mai 1905, wurde im September 1944 nach Auschwitz und später nach Dachau überstellt. Er starb am 28. März 1945, einen Monat bevor das Lager befreit wurde (➤ www.holocaust.cz).
Diese acht Fotos befinden sich wie jenes von Anna Holitscher im Nationalarchiv Prag: National Archives, Policejní ředitelství Praha II – všeobecná spisovna (PŘ II, 1941–1950) (Police Headquarters Prague II. – General Register). Die Fotos und Dokumente wurden vom Terezín Initiative Institute (the Terezín Album project) digitalisiert und sind in der Datenbank von https://www.holocaust.cz abrufbar.
Alice die im Ghetto Theresienstadt mehr als 100 Konzerte gegeben hatte, überlebte ebenso wie ihr Sohn, der später berichtete: "Mitten in der Hölle schuf meine Mutter für mich einen Garten Eden. Sie errichtete um mich herum eine starke Wand aus Liebe und gab mir solche Sicherheit, dass ich an unserem Leben nichts außergewöhnlich finden konnte und rückblickend guten Gewissens sagen kann: Meine Kindheit war wunderbar glücklich." [Ref. 27.) S. 13] Nach der Befreiung ging Alice Sommer mit ihrem Sohn zurück nach Prag. Doch sie musste feststellten, dass Fremde in ihrer Wohnung lebten und von den Menschen die ihr einst nahe standen, fast alle verschwunden waren. 1949 wanderten sie nach Israel aus und ließen sich in Jerusalem nieder. Dort nahm Stefan Sommer den Namen Raphael an. Alices Sohn wurde ein erfolgreicher Cellist. Raphael Sommer starb am 13. November 2001. Alice Herz-Sommer geboren am 26. November 1903, starb am 23. Februar 2014 in London.
Elsa von Kuffners Cousinen Anna Holitscher und Helene Sommer wurden am 6. Juli 1942 von Prag nach Theresienstadt und am 15. Oktober 1942 von dort in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet. ➤ Anna Holitscher, ➤ Helene Sommer (www.holocaust.cz). Anna Holitscher war nach neuen Erkenntnissen, bereits im September 1938 von Wien in die Tschechische Republik geflüchtet. Sie dürfte sich zunächst in Krompach aufgehalten haben, ehe sie im November 1938 bei ihrer Schwester Helene und ihrem Schwager Ignaz Sommer in Prag eintraf. (Quelle: https://www.holocaust.cz/)
Ihr Bruder war der Arzt und Sozialdemokrat Dr. Arnold Holitscher. Er wurde am 7. August 1859 in Wien geboren. Arnold studierte Medizin an der Universität Wien und war dann als Bezirksarzt in Březová tätig, wo er sich in den Kriegs- und Nachkriegsjahren für die notleidende Bevölkerung einsetzte. Als Organisationstalent kümmerte er sich auch um die Einrichtung von Kriegsküchen und um die Zuteilung von Lebensmitteln.
Nach seiner Zeit in Březová war Holitscher Chefarzt der Bezirkskrankenkasse in Chomutov (Komotau). Ab 1919 war er Mitglied der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik und später DSAP-Abgeordneter. Wie viele Sozialdemokraten dieser Zeit, versuchte auch Holitscher dem Alkoholismus entgegenzutreten. Er verfasste eine Reihe von Schriften zu diesem Thema. Holitscher war jahrelang im Vorstand des Vereins abstinenter Ärzte des deutschen Sprachgebietes und von 1919 bis 1925 Obmann des Arbeiter-Abstinentenbundes. Das 1922 in Kraft getretene "Gesetz zum Schutz der Jugend vor den Alkoholgefahren", wurde zu Ehren seines Urhebers auch "Holitscher Gesetz" beziehungsweise "Lex Holitscher" genannt. 1934 wurde Holitscher zum Vorsitzenden der "Internationalen Vereinigung sozialistischer Ärzte" gewählt. Im gleichen Jahr erschien in Prag erstmals auch die Zeitschrift "Internationales Ärztliches Bulletin". Bis zum Herbst des Jahres 1938 war Holitscher der Herausgeber. Ab diesem Zeitpunkt waren ihm die Hände gebunden. Er verlegte den Erscheinungsort nach Paris und erschien selbst nicht mehr als Herausgeber. Elsa von Kuffners Cousin Dr. Arnold Holitscher starb am 21. Oktober 1942 eines natürlichen Todes in Prag [Ref. 26.) S. 279].
Amalie Holitscher, eine Schwester von Elsa von Kuffners Vater, heiratete Jakob (genannt Jacques) Goldberger. Jacques Goldbergers Familie besaß eine der ältesten Textilfabriken Ungarns. Das Unternehmen wurde 1785 von Jacques Großvater Ferenc Goldberger in Budapest gegründet. Nach dem Tod von Jacques Vater Samuel Goldberger, leitete seine Mutter Elisabeth die später unter dem Namen "Samuel F. Goldberger & Söhne" bekannte Firma. 1867 wurden Elisabeth Goldberger (geb. 1783) und ihre Söhne mit "von Buda" in den Adelsstand erhoben. Rosine, die Tochter von Jacques und Amalie Goldberger von Buda, heiratete am 5. September 1875 den Bankier David Aub aus Frankfurt am Main. Rosine schenkte ihrem Mann zwei Kinder, Edgar geboren am 6. Februar 1877 in Frankfurt und Marguerite geboren am 1. Mai 1879 in Wien.
Edgar Aub war im Automobilhandel tätig und Gründer einer Maschinenfabrik in Wien. Er verkaufte Autos der Marken "Maurer-Union" (damals von manchen als "Bergsteiger" unter den Autos bezeichnet) und "Alba". Da Aub der festen Überzeugung war, dass sich der Motorbootsport auch hierzulande durchsetzen wird, spezialisierte er sich zudem auf den Verkauf von Motorbooten. Er war auch einer der ersten Geschäftsleute die in Wien eine Automobilgarage samt Werkstatt errichten ließen. Aubs "Union-Garage", die Platz für 30-40 Autos bot, befand sich in der Zieglergasse. Die Ausstellungsräume waren in der Walfischgasse 3.
1906 sicherte sich Edgar Aub das alleinige Verkaufsmonopol für die Autos der belgischen Firma "Usines Pipe". Zur erfolgreichen Einführung der neuen Marke, wird wohl auch der Sieg des belgischen Fahrers Charles Deplus in der Kategorie der hochklassigen Tourenwagen beim Semmering-Rennen 1906 einiges beigetragen haben. Denn Deplus fuhr Aubs Pipe-Wagen. Aub der viele Jahre Vorstandsmitglied im Österreichischen Automobil-Club war, nahm übrigens auch selbst gerne an Autorennen teil. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs konnte sich Aubs Unternehmen nicht länger halten. Die Firma "Edgar Aub & Co Gesellschaft m. b. H." wurde 1919 aufgelöst. Aub behielt aber weiterhin das Patent für eine Verbesserung der Stoßdämpfung, welches 1904 eingereicht wurde.
Edgar Aub lebte bis 1939 in der Amerlingstraße 7 im 6. Bezirk. Danach wurde er aus seiner Wohnung vertrieben. Am 28. November 1941 wurde Edgar Aub nach Minsk deportiert. Auch der Sohn von Elsa von Kuffners Cousine Rosine hat nicht überlebt (➤ DÖW).
Wolf Kuffners Bruder Löbl Kuffner war mit Therese Bauer verheiratet. Das Paar hatte fünf Kinder, Johanna, Josephine, Moriz, Abraham und Karoline. Karoline Kuffners erster Mann war der Tuchfabrikant Leopold Ehrenstamm, dem sie eine Tochter schenkte die Therese hieß. Emma, eine Enkeltochter von Karoline war mit dem prominenten Döblinger Arzt Dr. Sigmund Pollak verheiratet. Pollak kümmerte sich über viele Jahre um die ärztliche Versorgung der Bewohner des Israelitischen Blindeninstituts im 19. Bezirk. Er war auch der Leibarzt des Schriftstellers und Lyrikers Ferdinand von Saar. Saar, der neben Marie von Ebner-Eschenbach als der bedeutendste realistische Erzähler der österreichischen Literatur gegen Ende des 19. Jahrhunderts gilt, lebte ebenfalls in Döbling. Sigmund Pollak und Ferdinand von Saar waren enge Freunde.
Emma und Sigmund Pollaks Tochter war die Dichterin Dora Pollak, die unter dem Pseudonym Dora Leen schrieb. Ferdinand von Saar hatte Dora im März 1899 ein Gedicht gewidmet. Dora Pollak war eine Freundin des Komponisten Franz Schrekers. Sie schrieb einige Liedertexte die von Schreker vertont wurden und den Text zu dem Chorwerk "Schwanengesang". Dora Pollak verfasste außerdem das Libretto für Franz Schrekers erste Oper "Flammen". Doras Halbschwestern väterlicherseits, waren die Theater- und Stummfilmschauspielerin Leonie Pollak-Taliansky (geb. 1875) und die Malerin Rosina Pollak (geb. 1877). Rosina zog nach München und vermählte sich 1907 mit dem Maler und Grafiker Julius Diez, der ab 1907 als Professor an der Münchner Kunstgewerbeschule und später an der Akademie der Bildenden Künste in München lehrte.
Am 24. Juli 1906 nahm sich Ferdinand von Saar aufgrund einer unheilbaren Krankheit das Leben. Zwei Tage später veröffentlichte die Zeitschrift "Neue Freie Presse" Dora Leen-Pollaks Gedicht "Auf den Tod Ferdinand v. Saars" (➤ ANNO, ÖNB). Damit war auch das Geheimnis um das Pseudonym "Dora Leen" gelüftet. Die Dichterin Dora Pollak, geboren 1880 in Wien wurde 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. (➤ Neue Deutsche Biographie und "Franz Schreker, 1878-1934: A Cultural Biography", von Christopher Hailey, 1993.)
Nachdem Karoline Kuffners erster Mann Leopold Ehrenstamm sehr früh verstarb, vermählte sie sich als 24jährige mit dem Hausbesitzer Johann Ernst. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor. Ihr Sohn Jacob (genannt Jacques), verheiratet mit Leontine Maretzek, hatte ebenfalls vier Kinder, Marie, Anna, Rosa und Albert Josef. Marie Ernst geboren 1866, absolvierte in Wien die Schauspielschule. Nach ihrem Abschluss am Konservatorium im Jahr 1889 wurde sie sofort an das damals gerade erst errichtete Volkstheater (damals noch Deutsches Volkstheater) engagiert, das am 14. September 1889 eröffnet wurde [Ref. 41 ) S. 555]. Ab 1892 spielte sie am Berliner Lessing-Theater, später auch am Residenz Theater in Hannover. Marie Julie Ernst starb am 17. August 1929.
Albert Josef Ernst, geboren 1872 in Wien war ein erfolgreicher Konzertpianist und Musiklehrer. Er studierte bei Prof. Robert Fuchs (1847-1927) am Konservatorium Wien. Im ersten Weltkrieg kämpfte er als Leutnant des Landwehrinfanterieregiments Nr. 25. Albert Ernst fiel bereits im Herbst 1914. In der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung war zu lesen: "Mit ihm verliert die Kunst einen hochbegabten Pianisten, dessen meisterhafte Liederbegleitung im Konzertsaale jedem unvergesslich bleiben wird, der sich einmal daran erfreut hat, und einen ausgezeichneten Stimmbildner, dem zahlreiche Gesangsschüler ihr Können verdanken."
Jacques Tochter Anna Ernst wurde am 10. Juli 1942 von Wien nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 13. Jänner 1943 starb. (➤ DÖW)
Eine Schwägerin von Annas Schwester Rosa, wurde bereits am 28. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert. Rosa war mit Rudolf Fischhof verheiratet, dem Inhaber der Kragen- und Manschettenfabrik "F. Peters Nachfolger". Nach dem Tod ihres Mannes 1911 übernahm Rosa Fischhof die Leitung der Firma. Rudolfs Schwester Hermine, geboren am 5. September 1864 in Wien, war mit Max Reichmann verheiratet, der in Wien die Bank "Schlesinger & Reichmann" gegründet hatte. Max Reichmann starb bereits 1910. Hermine Reichmann starb am 1. Oktober 1942 in Theresienstadt (➤ DÖW).
Mit der elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 1941, wurde allen Jüdinnen und Juden welche sich im Ausland befanden die Staatsbürgerschaft aberkannt und deren gesamter Besitz ging an den Staat.
In Wien hatte man versucht auch die Erinnerung an die Familie Kuffner auszulöschen. Bereits am 9. Dezember 1938 wurde die um 1864/1869 nach Ignaz von Kuffner benannte Kuffnergasse neben dem Brauereigelände im 16. Bezirk, in Plankgasse umbenannt. Seit Mai 1946 heißt sie wieder Kuffnergasse.
Die 1881 von Ignaz von Kuffner errichtete Parkanlage auf dem Scheibenplatz, wurde am 23. Juni 1886 zu Ehren seiner Tochter Katharina, Katharinenruhe benannt. Ab dem 15. September 1944 hieß sie Liebhartsruhe. Und erst seit Juni 2002 heißt der Aussichtsplatz wieder Katharinenruhe.
1938 lebten 167.249 Jüdinnen und Juden in Wien und 181.882 in ganz Österreich. Nach den Nürnberger Gesetzen lag die Gesamtzahl allerdings noch höher, da auch Menschen anderer Konfession als Jüdinnen und Juden galten, wenn deren Großeltern jüdischen Glaubens waren. Ende des Jahres 1945 lebten 5.512 Menschen, die während des NS-Regimes als Jüdinnen und Juden verfolgt wurden in Wien. Mindestens 66.000 österreichische Jüdinnen und Juden starben in der Shoah. Von den Überlebenden waren bis zum Jänner 1952 nur etwas mehr als 4.500 Menschen nach Österreich zurückgekehrt [Ref. 33.) ].
Auch von den Nachkommen der Kuffners kamen nur wenige aus dem Exil zurück.
Das verwundert nicht, denn abgesehen von der Tatsache, dass Gesetze vielen Vertriebenen die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft erschwerten [Ref. 34.) ], war der Antisemitismus nach Kriegsende nicht einfach verschwunden. Auch nicht aus politischen Debatten oder den Medien. "Ein Großteil der JournalistInnen, die bereits vor 1945 die Medienlandschaft geprägt hatten, blieben auch nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes redaktionell tätig." [Ref. 35.) ] Österreich stellte sich als erstes Opfer des Nationalsozialismus dar und blendete die Beteiligung zahlreicher Österreicher am Holocaust völlig aus. Niemand war bereit Verantwortung für die Verfolgung zu tragen.
Diese Haltung und der Antisemitismus prägten auch die Rückstellungspolitik Österreichs.
So wurde die Londoner Deklaration vom 5. Jänner 1943 erst im Mai 1946 anerkannt, als der Nationalrat das "Bundesgesetz über die Nichtigerklärung von Vermögensübertragungen, die während der deutschen Besetzung Österreichs erfolgt sind" verabschiedete.
Bis 1949 wurden zwar auf Druck der Alliierten insgesamt sieben Rückstellungsgesetze erlassen, diese waren allerdings gespickt mit zahlreichen bürokratischen Hürden wie extrem kurzen Fristen und Schikanen. Wollten etwa die Opfer ihr Eigentum zurück, so mussten sie dem "Ariseur" oft den Kaufpreis von 1938 zurückzahlen, obwohl sie den Betrag in der Regel nie erhalten haben. Denn dieser musste ja auf ein Sperrkonto gelegt werden. Zahlreiche Verfahren endeten daher mit Vergleichen [Ref. 36.) ab S. 90 ].
Raoul, der einzige Sohn von Karl Kuffner de Diószegh und Enkelsohn von Jakob Kuffner, hatte gemeinsam mit seiner ersten Frau Cara Carola von Haebler zwei Kinder, Peter Karl Maria und Luisanne Lilly. Nach dem Tod seiner Frau heiratete er die Malerin Tamara de Lempicka. Die Familie rettete sich nach Amerika, wo Raouls Nachkommen heute noch leben. Louisanne Lilly Kuffner Glickman starb 2009. Sie hinterließ zwei Kinder, Enkel und Urenkel. Raoul Kuffner stand übrigens ab 1929 als Stifter auf der Liste der "Freunde und Mitarbeiter des Künstlerhauses" Wien. Am 13.10.1938 wurde sein Name gestrichen, da er die Ariererklärung nicht einschickte. (➤ Wladimir Aichelburg, 150 Jahre Künstlerhaus Wien 1861-2011)
Auch Frieda von Klemperers Familie konnte sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Der Historiker Klemens von Klemperer schrieb in seinen Erinnerungen: "Father patiently shepherded us boys, one by one, toward safety in America. It was only then, days before the outbreak of the war, that he, Mother, and our sister Lily found refuge in England. The captain was the last one to leave the sinking ship." [Ref. 7.) S. 11].
Während Klemens bereits 1938 den Kontinent verlassen konnte, durften seine Schwester und seine Eltern erst 1939 ausreisen, nachdem die Familie völlig ausgeplündert worden war. Seine Mutter Frieda von Klemperer starb als gebrochene Frau am 19. März 1945 in Oxford/England. Bei der Einäscherung waren neben Klemens Vater und seiner Schwester Lily, auch Gerty von Hofmannsthal und Klemens Cousine Eva Lindenthal-Mandl zugegen.
Klemperer diente ab Februar 1943 im Nachrichtendienst der US Armee in Europa. Nach dem Krieg setzte er sein Geschichtsstudium an der Harvard Universität fort. Er promovierte 1949.
Klemens von Klemperer starb am 23. Dezember 2012 in Easthampton, Massachusetts/USA. Er hinterließ seine Frau Elizabeth, zwei Kinder und vier Enkelkinder. Seine Memoiren "Voyage Through the Twentieth Century: A Historian's Recollections and Reflections", widmete er Marianne Kuffner: "To Jani, my dear Viennese aunt, who returns often in my memory." [Ref. 7.) ] Klemperers Großmutter Camilla Kuffner starb am 21. März 1954 in Beaulieu sur Mer. Sie wurde im Familiengrab am Döblinger Friedhof bestattet.
Die Zwillingsbrüder Hans und Stephan Kuffner blieben ledig. Auch sie ließen sich nicht mehr in Österreich nieder. Hans starb 1973 in Lausanne, Stephan 1976 in Zürich.
Stephan Kuffner war ein ebenso leidenschaftlicher Bergsteiger wie sein Vater. Schon in seiner Jugendzeit hatte er seinen Vater auf Touren durch die Alpen begleitet.
Im Führerbuch des großartigen Bergsteigers Alexander Burgener (1845-1910), der auch ein Freund der Familie war, finden sich viele Einträge von Kuffner. Gemeinsam mit Burgener gelangen Moriz von Kuffner ➤ Erstbegehungen in den Alpen. Den ersten Eintrag schrieb Kuffner im Juli 1883. 1895 gibt es zwei Einträge, die von Moriz und Elsa Kuffner gezeichnet wurden.
Alexander Burgener wurde am 8. Juli 1910 von einer Lawine erfasst und getötet. Den letzten Eintrag in Burgeners Führerbuch, machte der damals fünfzehnjährige Stephan von Kuffner am 30. August 1909 nach einer Tour auf die Valluga: "Für die ausgezeichnete, in jeder Beziehung tadellose Führung spreche ich diesem trefflichen Manne meinen herzlichsten und wärmsten Dank und zugleich die Hoffnung [to climb with him for many more years.]..." (➤ "The Führerbuch of Alexander Burgener" von D. F. O. Dangar, Alpine Journal, 1951, Vol. LVIII ) Nach Burgeners Tod befand sich das Führerbuch im Besitz der Familie Kuffner, die es im Juni 1939 dem Alpine Club schenkte [Korrektur 2.)].
Laut D. F. O. Dangar ging Stephan Kuffner noch im Jahr 1961 zwanzig mal seine Lieblingstour hinauf zur Segantini Hütte. Im gleichen Jahr bestieg er außerdem den Piz Palü [Ref. 23.), S. 269-270]. Da er Menschen in sozialer Not und besonders die Bergbevölkerung unterstützen wollte, gründete er im Jahr 1960 die ➤ "Moriz und Elsa v. Kuffner-Stiftung", welche die Erinnerung an die Familie Kuffner wach hält. Diese Stiftung ist heute in der Schweiz eine bekannte Institution, die einen bedeutenden Beitrag zum Wohl der Allgemeinheit leistet.
Moriz von Kuffners Schwiegertochter Helene flüchtete mit Vera zunächst nach Basel in die Schweiz, wo ihre Eltern lebten. Dort stellte sie einen Antrag auf Wiedereinbürgerung. Helenes Vater Jules Dreyfus war Bankier, ihre Mutter Marie, war die Tochter des Zuckerfabrikanten Lazare Brodsky aus Kiev. Über England kamen Helene und ihre kleine Tochter Vera Kuffner 1940 schließlich nach New York. Vera Kuffner studierte am Vassar College und an der Columbia University. 1964 heiratete die talentierte Bildhauerin Walter Eberstadt, mit dem auch sie die Tradition der Familie weiterführte. Gemeinsam unterstützten sie Bildungseinrichtungen und Kulturinstitutionen. Vera Eberstadt starb 2014 in New York. Ihre beiden Söhne Michael und George und die vier Enkelkinder sind die einzigen lebenden Nachfahren von Moriz und Elsa von Kuffner.
Die Nachkommen von Moriz von Kuffners Schwester Katharina blieben ebenfalls in Amerika. Katharinas Sohn Paul Oppenheim
hatte nach Beginn der Nazi-Herrschaft in Deutschland 1933, einigen verfolgten Wissenschaftlern, wie Hempel und Grelling die finanziellen Mittel für die rechtzeitige Ausreise verschafft. Nach seiner Flucht aus Brüssel im August 1939 lebte er als Privatgelehrter in Princeton. Grelling blieb nach Ausbruch des Krieges in Belgien. Kurt Grelling wurde gemeinsam mit seiner Frau Margareta am 16. September 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Paul Oppenheim führte mit seiner Frau, einer meisterhaften Sprachtherapeutin, auch in Princeton ein offenes Haus. Hans Reichenbach besuchte das Paar ebenso regelmäßig wie Bertrand Russell. Auch Karl Popper wohnte während seines ersten Aufenthalts in Princeton bei den Oppenheims. Bei dieser Gelegenheit lernte Popper auch Albert Einstein kennen. Paul Oppenheim hatte ihn ermutigt Einstein aufzusuchen. Der Philosoph Nicholas Rescher erinnert sich: "With the active support of his charming wife, Gabrielle, the Oppenheims maintained in their house at 57 Princeton Avenue what can best be decribed as a latter-day salon for scientists and philosphers, utilizing to the full Princeton`s assets as a major center of learning." [Ref. 40.), S. 334-360 ]
Paul und Gaby Oppenheim waren enge Freunde von Albert Einstein. Bis zum Tod des berühmten Physikers wanderten sie gemeinsam mit Einstein jeden Sonntag Morgen um den Carnegie See. Albert Einstein starb am 18. April 1955. Nur zwölf Vertraute, darunter das Ehepaar Oppenheim, waren zugegen, als noch am selben Tag in der Krematorium-Kapelle von Trenton die Einäscherung stattfand. Auf Wunsch ihres Freundes verstreuten Paul Oppenheim und Otto Nathan, Einsteins Asche an einem unbekannten Ort [Ref. 38.), S. 530]. Paul Oppenheim starb am 22. Juni 1977. Katharinas Enkelsohn Felix Oppenheim, Professor für Politikwissenschaft, heiratete die Schriftstellerin Shulamith Levey. Die beiden bekamen eine Tochter und zwei Söhne.
Am 13. November 1945 wandte sich Raoul Kuffner erstmals an die U.S. Reparations, Deliveries and Restitution Division. Kuffner teilte der Behörde unter anderem mit, dass seine Familie 1938 von der Gestapo gezwungen wurde die Brauerei weit unter Wert an die Familie Harmer zu verkaufen. Aus dem Schreiben geht außerdem hervor, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, was aus dem Familienunternehmen geworden war und wer das Werk aktuell leitete. Im Februar 1946 erhielt er Antwort von der US Property Control, die ihm mitteilte, dass sich das Unternehmen immer noch im Besitz der Familie Harmer befände, die Property Control seine Eigentumsinteressen aber sicherstellen werde. Um die weiteren Schritte kümmerte sich ab März 1946 Raouls Anwalt Dr. Sigmund Samuel aus Toronto, der auch Stephan Kuffner und Paul Oppenheim vertrat. Raoul Kuffner hatte damit zwar den Stein ins rollen gebracht, doch die Restitutionsverfahren dauerten Jahre.
Das 3. Rückstellungsgesetz regelte die Rückstellung von entzogenen Vermögen, welches sich nun in der Hand von Privatpersonen befand und betraf somit das Gros der "Ariseure". Nach der Verabschiedung dieses Gesetzes im Februar 1947, verlangten die "Ariseure" eine Novellierung zu ihren Gunsten. "Mehrere Novellierungsversuche zulasten der NS-Opfer scheiterten vor allem am Einspruch der Alliierten sowie auch an Widerständen aus den Reihen der SPÖ." [Ref. 42.) ] Verständnis für die Opfer, deren Nöte und Anspruch auf Wiedergutmachung war von den "Ariseuren" nicht zu erwarten. Viele begriffen sich selbst als Opfer und bekämpften die Rückstellungspflicht. Auch gegen Beschlüsse der Rückstellungskommission zugunsten von Familienmitgliedern der Kuffners wurden Beschwerden eingereicht. Neben Vera Kuffner war auch Raoul Kuffner betroffen. Im Fall von Raoul Kuffner verlangten die Rückstellungspflichtigen ihre Anteile am Haus Schubertring 3 mit der Begründung zurück, Raoul Kuffner hätte als jüdischer "Mischling ersten Grades" nicht zum Kreise der durch den Nationalsozialismus verfolgten Personen gehört. Das war kein Einzelfall. Tatsächlich versuchten damals viele Anwälte den Opfern nachzuweisen, sie seien keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen. Nach den "Nürnberger Rassegesetzen" galt jemand als "Mischling ersten Grades" wenn zwei Großelternteile jüdisch waren, unabhängig davon welcher Glaubensgemeinschaft die betreffende Person angehörte. Die Beschwerde wurde 1951 jedenfalls abgewiesen: "da es notorisch ist, dass auch Mischlinge ebenso wie jüdisch versippte Personen politischer Verfolgung unterworfen waren."
Erst 1950 kam die Kuffner-Sternwarte wieder in den Besitz der Familie Kuffner, die sie 1951 ohne Instrumente verkaufte. Im Kaufvertrag wurde festgelegt, dass die Sternwarte der Erwachsenenbildung zur Verfügung stehen muss. 1950/1951 zahlte die Familie Harmer eine Entschädigungssumme für die Brauerei. 1944 wurden hunderte Bücher die Moriz von Kuffners Familie gehörten, bereits in die Bestände der Nationalbibliothek einsigniert. Die meisten Bücher (4599 Bände) aus der Bibliothek der Familie, konnten bereits 1948 restituiert werden. 32 Bücher wurden im Jahr 2000 und weitere 22 Bände vier Jahre später zur Rückgabe empfohlen. 15 Bücher wurden 2005 restituiert, der Rest von der Österreichischen Nationalbibliothek angekauft. [Ref. 17.) S. 186]
Neun graphische Blätter aus der Sammlung der Familie Kuffner, befinden sich noch immer in der Albertina. Die Erben stellten einen Rückstellungsantrag. Doch der Rückgabebeirat hatte im Jahr 2000 die Restitution dieser Objekte nicht empfohlen, mit der Begründung, man habe sie durch ein Tauschgeschäft 1938 rechtswirksam erworben. Die Historikerin Monika Tatzkow und der Rechtsanwalt Gunnar Schnabel, haben in ihrem Handbuch "Nazi Looted Art" über die weltweite Kunstrestitution allerdings überzeugend dargestellt, dass das Kunstrückgabegesetz nicht richtig angewendet wurde. Sie argumentieren, dass das Tauschgeschäft im Jahre 1938 unter Zwang vorgenommen wurde und die Dubletten in einem völlig unangemessenen Verhältnis zu den Originalzeichnungen der Kuffners standen. Den Tausch sehen sie somit als rechtswidrig an. [Ref. 16.), S. 81]
Tatsächlich kam das Geschäft unter massivem Druck zustande. Wie ernst die Lage war wird deutlich wenn man bedenkt, dass sich Moriz und Stephan von Kuffner wenige Wochen zuvor noch in Gestapohaft befanden. Da die Familie schnellstmöglich das Land verlassen musste, waren sie gezwungen die Zeichnungen weit unter ihrem Wert abzugeben, um überhaupt einen kleinen Teil ausführen zu dürfen.
Im Jahr 2007 meinte der damalige Vorsitzende der Kommission für Provenienzforschung Werner Fürnsinn, der Fall Kuffner könnte neu aufgerollt werden (Der Standard, 16. 2. 2007). Eine Rückgabeentscheidung ist bis heute noch nicht gefallen.
Die große, von der Gestapo beschlagnahmte Kunstsammlung von Wilhelm und Camilla Kuffner ist verschwunden und nicht mehr aufgetaucht.
Die Villa des Paares in der Döblinger Cottage wurde in der Zeit von 1905-1908 erbaut. Der Architekt war Karl König. 1963 hat man das Haus abgerissen und durch ein Studentenheim ersetzt. Fotos und eine ausführliche Beschreibung der Villa wurden 1911 in der Zeitschrift "Der Bautechniker" publiziert (➤ ANNO, ÖNB).
Abgerissen wurde auch die Villa von Moriz von Kuffner in Dornbach (Promenadegasse). Kuffner hatte wie im Falle der Sternwarte den Architekt Franz Neumann jun. damit beauftragt. Ein Bericht von Neumann erschien 1895 in der ➤ "Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereines" ab S.453 (archive.org). Auf dem Areal steht heute ein Gemeindebau.
Erhalten blieben abgesehen von der Sternwarte, die 1892 erbaute ➤ Direktorsvilla neben der Kuffner-Sternwarte und das 1886-1888 erbaute Palais Kuffner in der Ottakringerstraße 118-120, sowie zwei Arkadenhäuser im 1. Bezirk. Auch all diese Bauten wurden nach Plänen des Architekten Franz Neumann jun. errichtet. Das Haus am Rathausplatz 7/Stadiongasse 2, ließ der ehemalige Bürgermeister von Ottakring Ignaz von Kuffner 1878 bauen (➤ Allgemeine Bauzeitung, 1885, Die Arkadenhäuser neben dem Rathhause in Wien). Das Arkadenhaus Reichsratsstraße 9 gab sein Cousin Jakob Kuffner im Jahr 1884 in Auftrag. [Ref. 16.) ]
Ab April 1945 arbeitete eine Beamtin namens Elisabeth Kowy unter Josef Schöner im Bundeskanzleramt (Abteilung Auswärtige Angelegenheiten). Elisabeths Vater war der ehemalige Sektionschef Dr. Jakob Kowy, ab 1909 Ministerialsekretär in der Kanzlei des Abgeordnetenhauses. Mit der Wiedereinberufung des Reichsrates 1917 wurde er zum Hofrat in der Kanzleidirektion des Herrenhauses ernannt. Und nach der Errichtung des Bundesrates im Jahre 1920 hat man Kowy zum Kanzleidirektor bestellt. Dr. Jakob Kowy starb 1929.
Elisabeth Kowy, geboren 1902 in Wien, heiratete 1951 Erwin Rittershausen. 1955 war Elisabeth Rittershausen Mitglied der österreichischen Delegation um Raab, Schärf, Figl und Kreisky, die in Moskau die Staatsvertragsverhandlungen führte. Die Delegationssekretärin Elisabeth Rittershausen war eine Nichte von Elsa von Kuffner. Sie war die Tochter von Elsas Schwester Eugenie Kowy, geborene Holitscher.
Elisabeth Rittershausen starb am 9. November 1989 in Wien.
Weiter unten auf dieser Seite finden Sie den Stammbaum der Familie Kuffner.
Fotos von Mitgliedern und Freunden der Familie (Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)
Löbl Kuffner ~1760-1844
Therese Bauer Kuffner † 1845
Karl Kuffner 1788-1835
Therese Kuffner † 1870
David Kuffner 1796-1871
Marie Kuffner-Schück 1791-1868
Simon Kuffner 1798-1869
Karoline Kuffner-Ernst 1810-1873
Heinrich Wilhelm Ernst 1812-1865
Heinrich Wilhelm Ernst und Amelie Ernst
Mario Giovanni und Marisa Gaetani dell'Aquila d'Arigona
Marie Stefanie Arnstein, Ur-Enkelin v. Karoline Kuffner
Magda Czeiger geb. Schmitz, Ur-Enkelin v. Karoline Kuffner
Hermann von Kuffner 1822-1905
Frieda Kuffner-Klemperer 1881-1945
Moriz von Kuffner 1854-1939
Martha Engelmann 1880-1965
Prof. Dr. Guido Engelmann 1876-1958
Dr. Guido Engelmann Poliklinik 1912
Therese Schlesinger u. Victor Adler
Hugo v. Hofmannsthal 1874-1929
Hugo v. Hofmannsthal
Alexander Strakosch 1845-1909
Gustav u. Anna Freytag
Hugo Herzfelder 1862-1924
Alfred v. Mierka
Selma Kurz 1874-1933
Alexander Burgener 1845-1910
Hermann Bahr 1863-1934
Peter Altenberg 1859-1919
Arthur Schnitzler 1862-1931
Leopold v. Andrian 1875-1951
Ferdinand v. Saar 1833-1906
Helene Lieser 1898-1962
Korrekturen zum Buch "Familie Kuffner: 1.) Seite 93, irrtümlich Schottenring 25/12b. Tatsächlich war dies die letzte bekannte Adresse von Sigmund Erben vor der Deportation. 1907 lebte die Familie in der Teinfaltstraße 7, bis 1938 in der Grillparzerstraße 14.
2.) Seite 121, irrtümlich Schweizer Alpen-Club. Das Führerbuch von Alexander Burgener wurde 1939 jedoch dem Alpine Club London geschenkt.
3.) Seite 86: Die Behauptung der "Jüdischen Volkszeitung", dass Karl Kuffner de Diószegh laut Testament am jüdischen Friedhof beigesetzt werden wollte, war eine Falschmeldung.
4.) Seite 114: Georg Holitscher starb am 30. August 1941 im Exil.
5.) Ebenda: Jacques Haim hat überlebt. Er starb 1963.