Im Herbst 1883 erfolgten die ersten Vorbesprechungen zwischen Moriz v. Kuffner und Norbert Herz zum Bau einer Privatsternwarte und für deren Einrichtung. Als Bauplatz bot sich ein Teil der Kuffner´schen Gründe an die sich westlich des Ottakringer Friedhofs erstreckten, am Osthang des Gallitzinberges. Somit lag dieses Grundstück, ehemals Waldstraße Nr. 41, damals fern der Stadt. [Ref. 1.)]
Kuffner und Herz hatten sich zum Ziel gesetzt, eine für die damalige Zeit modernst ausgestattete Forschungssternwarte zu errichten. Die Tatsache, daß wenige Jahre zuvor und nur wenige Kilometer entfernt mit der Universitätssternwarte in Währing die damals größte Sternwarte der Welt errichtet worden war, berührte sie dabei nur wenig.
Kuffner sparte nicht bei der Ausstattung der Sternwarte; die vier Hauptinstrumente
Großer Refraktor
Meridiankreis
Vertikalkreis
Heliometer
sowie die Zusatzinstrumente (Präzisionspendeluhren, diverse Meßapparate, Astrograph) waren die besten, die zur damaligen Zeit verfügbar waren.
Kuffner hatte die Instrumente bei Repsold & Söhne in Hamburg (Feinmechanik) und bei Steinheil in München (Optik) in Auftrag gegeben; beide Unternehmungen gehören zu den Vorläufern der großen deutschen optischen Werke wie Carl Zeiss Jena oder Leitz Wetzlar.
Auch an Personal wurde nicht gespart; neben einem Direktor - Norbert Herz (1858 - 1927) von 1887 bis 1891 und Leo de Ball (1853 - 1916) von 1891 bis 1916 - waren stets mehrere Assistenten fix angestellt.
Forschungstätigkeit
Die Forschungstätigkeit der Kuffner- Sternwarte hatte ihren Schwerpunkt in der Vermessung des Sternenhimmels (Sternpositionen, Zeitbestimmungen, Entfernungsmessungen). Doch auch die Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Astrophysik, die sich nicht mit der Vermessung, sondern mit der Erforschung der Natur der Gestirne befaßt, fand in der Instrumentierung und in den Veröffentlichungen der Sternwarte bereits ihren Niederschlag.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde von der "Astronomischen Gesellschaft" auf breiter internationaler Basis ein sehr bedeutsames Unternehmen auf die Beine gestellt. Sternwarten in nahezu allen Kontinenten sollten in einer vereinten Anstrengung die Positionen aller Sterne bis zur 9. Größe mit Meridiankreisen möglichst genau bestimmen. Der zweite Teil dieses AG-Zonenunternehmens war für Sterne mit einer südlichen Deklination von -2° bis -23° ausgelegt. Die vier Sternwarten in Straßburg, Wien-Ottakring, Cambridge und Washington teilten sich diesen Deklinationsstreifen auf. Das Himmelsareal von -6° bis -10° entfiel dabei auf die Kuffner-Sternwarte (8.468 Sterne). Diese Zone war die erste südliche, die fertiggestellt war (publiziert 1904), erst 1912 lag die letzte Zone vor (Cambridge).
Neben den jeweiligen Direktoren waren u.a. Samuel Oppenheim, Dr. Paul Eberhard und Dr. Johannes Hartmann, an Beobachtungen und Auswertungen beteiligt. Leo de Ball zog es bemerkenswerterweise vor, die Zone Wien-Ottakring ab 1892 völlig neu zu vermessen. Die neuen Beobachtungen ergaben einen wesentlich kleineren Fehler für eine Einzelbeobachtung (± 0,54" in a, ± 0,49" in d). Die Leistungen der Mitarbeiter an der Kuffner Sternwarte fanden schnell internationale Anerkennung. Im Vorwort zum 3. Band der Publikationen der v. Kuffner'schen Sternwarte, erwähnt Leo de Ball, eine besondere Auszeichnung sei der Sternwarte dadurch zu Teil geworden, dass eine Reihe von gelehrten Anstalten beschlossen haben mit der v. Kuffner'schen Sternwarte in Schriftenaustausch zu treten. Und zwar die k. Akademie der Wissenschaften in Wien, die Académie royal de Belgique, die Royal Society in London, die Royal Astronomical Society, die Astronomical Society of the Pacific, die Società degli spettroscopisti italiana, der Circolo matematico di Palermo, das Recheninstitut der Kgl. Sternwarte in Berlin, die Specula Vaticana und die Sternwarten zu Cambridge U. S., Cambridge (England), Paris, Potsdam und Pulkowo. [Ref. 2.)]
1896 begann Leo de Ball mit Untersuchungen am Heliometer über die Fehler der Skalenteilung, den Fokus und die Temperaturabhängigkeit, die es ihm schließlich 1899 erlaubten, mit den eigentlichen Beobachtungen am Parallaxenprogramm zu beginnen.
De Ball hatte eine Liste von 252 Sternen der 2. bis 6. Größenklasse aufgestellt, die möglichst gleichmäßig über den Himmel vom Nordpol bis zu einer Deklination von +30° verteilt waren. Für dieses Programm konnte er auch die Sternwarten in Bamberg und Göttingen sowie das Yale-Observatorium gewinnen. Bis 1908 wurden immerhin 16 Parallaxen veröffentlicht. Das klingt nicht viel, man muß aber bedenken, daß 1908 weltweit erst rund 100 Parallaxen gemessen worden waren; ein Achtel aller Messungen wurden also auf der Kuffner-Sternwarte gewonnen.
Karl Schwarzschild führte intensive fotografische Arbeiten am Großen Refraktor durch, im Verlauf derer er eine Methode entwickelte, aus fotografischen Aufnahmen der Sterne deren Helligkeit zu ermitteln (fotografische Photometrie).
Im Zuge dieser Arbeiten entdeckte er sein berühmtes Schwärzungsgesetz, das beschreibt, wie stark lichtempfindliche Emulsionen in Abhängigkeit von der Belichtungszeit geschwärzt werden.
Mit dem Tod Leo de Balls im Jahr 1916 und dem durch den 1. Weltkrieg entstandenen Geld- und Personalmangel endete die erste Schaffensperiode der Kuffner-Sternwarte genauso spontan, wie sie begonnen hatte. Die in diesen 30 Jahren herausgegebenen Publikationen der Kuffner-Sternwarte haben noch heute ihren Platz in den Bibliotheken anderer Institute.