Die Sternwarte im Wechsel der Zeiten (1917 - 1982)
Die Kuffner-Sternwarte in der Zwischenkriegszeit
Nachdem der zweite Direktor der Kuffner-Sternwarte, Leo de Ball, 1916 inmitten des ersten Weltkrieges starb, kamen die wissenschaftlichen Aktivitäten der Sternwarte völlig zum Erliegen. Und die Sternwarte wurde nur noch notdürftig instand gehalten. Die ungünstige Zeit der Weltwirtschaftskrise und die politische Situation der Zwischenkriegszeit machten alle Versuche zur Revitalisierung der Kuffner-Sternwarte zunichte.
Nach dem Ersten Krieg zeigten sowohl die Universitätssternwarte als auch die Akademie der Wissenschaften Interesse, die Kuffner-Sternwarte als Ergänzung zur Universitätssternwarte zu adaptieren. Die Idee stammte von Prof. Samuel Oppenheim, der persönlich die Verhandlungen mit Moriz von Kuffner führte. Ende der Zwanziger Jahre bot Moriz von Kuffner der Akademie der Wissenschaften an, ihr die Sternwarte probeweise für einige Jahre zu überlassen. [Ref. 1.) und 2.) ] Allerdings starb Oppenheim 1928 und die Verhandlungen mit Kuffner gerieten ins Stocken.
In einem Interview im September 1929 bemerkte der neue Direktor der Universitätssternwarte Prof. Kasimir Graff: "Als ich nach Wien berufen wurde, nahm ich mir vor den Traditionen der Sternwarte entsprechend weiterzuarbeiten, allerdings auch das Programm der Warte etwas zu erweitern. Das wird deshalb möglich sein, weil wir voraussichtlich die Sternwarte von Kuffner übernehmen werden, die dieser uns für einige Jahrzehnte angeboten hat. Mit der Kuffnerschen Sternwarte werden wir wieder eines der größten Institute dieser Art und damit die Pflicht übernehmen, entsprechende wissenschaftliche Leistungen aufzuweisen." ➤ Wo wir nach den Sternen schauen (ANNO ÖNB) Wenige Monate zuvor hatte sich Graff allerdings noch ganz klar gegen eine Übernahme
der Kuffner-Sternwarte, „die insbesondere Prof. Oppenheim sehr energisch betrieb“ ausgesprochen. Doch Graff wurde von Prof. Richard Wettstein, Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften und Präsident der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse derselben, überstimmt. [Ref. 5.)]
Nach langen Verhandlungen mit Moriz von Kuffner, erklärte sich dieser schließlich bereit, die Widmung für 20 Jahre zu gewähren und außerdem 10.000 Schilling für die notwendigsten künftigen Reparaturen an den Instrumenten und den Kuppeln zu stiften. Im November 1930 berichteten die Tageszeitungen dann, die Akademie der Wissenschaften hätte die berühmte Kuffnersche Sternwarte durch eine Stiftung von Moriz von Kuffner übernommen. Die Sternwarte sollte nun wieder instand gesetzt werden und als Lehr- und Forschungsstätte dienen.
Aufgrund der Wirtschaftskrise kam die Universitätssternwarte aber zusehends in Bedrängnis. Im Jänner 1932 weist Prof. Graff in einem Artikel auf die Gefahr einer Stilllegung der Sternwarte hin. Diesem Artikel ist außerdem zu entnehmen, dass sich die Kuffner-Sternwarte bis zum Beginn des ersten Weltkrieges, in Wien zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz etabliert hatte. Graff schrieb über die Universitätssternwarte: "Die Gründe des raschen Niederganges der Wiener Sternwarte hier zu erörtern, würde zu weit führen. Die überaus ungünstige Lage im Norden der Stadt, die zunehmende Bebauung und Erleuchtung der Umgebung, der rigorose Dotations- und Beamtenabbau haben bewirkt, dass das Institut nach kurzer Herrlichkeit in Vergessenheit geriet, um so mehr, als die günstiger gelegene mit ausgesuchten in- und ausländischen Kräften besetzte v. Kuffnersche Privatsternwarte am Gallitzinberg in Ottakring durch ihre Leistungen die Aufmerksamkeit des Auslandes immer mehr auf sich zog." ➤ Gefahr einer Stillegung der Sternwarte (ANNO ÖNB)
Die Restaurierungsarbeiten auf der Kuffner-Sterwarte wurden allerdings bereits nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Und das obwohl das Handelsministerium nach der Übernahme 60.000 Schilling für die Instandsetzung bewilligt hatte. In einer Sitzung der Sternwarte-Kommission am 8. Juli 1932 berichtete Prof. Graff, übrigens Mitglied der Kommission, über die Entwicklung auf der Kuffner-Sternwarte. Demnach wurde ab Herbst 1931 dort nichts mehr gemacht, trotzdem man erst 20.000 Schilling ausgegeben hatte. Da nach den Arbeiten nichts aufgeräumt wurde, sah die Sternwarte schlimmer aus als je zuvor und der Park war verwildert. Laut Prof. Graff, waren die zwei Jahre zuvor überholten Instrumente, 1932 schon wieder verrostet. [Ref. 1.) S. 621] Nach Graffs Schätzung wäre die Inbetriebnahme frühestens nach drei weiteren Jahren möglich gewesen.
Da Graff zudem von einer nicht genannten Quelle erfahren hatte, dass ihm das Bundesministerium für Unterricht nicht die Leitung, sondern nur die geschäftliche Verwaltung für die Kuffner-Sternwarte übertragen würde und die Universitätssternwarte die Auslagen für die Kuffner-Sternwarte tragen sollte, welche später ersetzt würden, erklärte Graff in besagter Sitzung, die Agenden der Kuffner-Sternwarte nicht mehr führen zu wollen. Daraufhin kam die Kommission zu der einstimmigen Ansicht, es wäre besser die Kuffner-Sternwarte zurückzugeben und gleichzeitig ein neues Abkommen mit Kuffner auszuhandeln, um einen Teil der Instrumente für die Forschung sicher zu stellen.
Am 5. Dezember 1933 schließlich, gab die Akademie der Wissenschaften, die Kuffner-Sternwarte an den Besitzer Moriz von Kuffner zurück. Offiziell aus Mangel an Mitteln. Tatsächlich scheint es aber auch noch andere Gründe dafür gegeben zu haben. Laut Graff hatte das für die Universitätssternwarte zuständige Unterrichtsministerium nach dem Tode Wettsteins im August 1931 jedes
Interesse an der Kuffner-Sternwarte verloren. Dieses Ministerium wurde im fraglichen Zeitraum von überzeugten Antisemiten geführt. [Ref. 5.) S. 54] Ob diese Führungskräfte am Anschluss der Sternwarte eines jüdischen Mäzens an die Universitätssternwarte ernsthaft interessiert waren, darf zumindest bezweifelt werden. Einen finanziellen Engpass hätte man jedenfalls auch mit Kuffners Geldstiftung von 10.000 Schilling überbrücken können. Diese Summe wurde aber laut Graff nie beansprucht.
Kuffner, der sein Abkommen mit der Akademie nach diesen Vorfällen sicher bereut hat, war entsetzt. Bei Vertragsabschluss war er bereits 76 Jahre alt und sicher bestrebt die Leitung der Sternwarte in verantwortungsvolle Hände zu geben. Nach diesen Ereignissen aber, war er nun nicht einmal mehr bereit Prof. Graff Instrumente für die Beobachtungsstation in Mallorca zu leihen.
Von Krieg zu Krieg
Der aufkommende Nationalsozialismus sollte schließlich alle Anstrengungen, die Kuffner-Sternwarte wieder in Betrieb zu nehmen, vorerst einmal beenden. Bei mehreren Einbrüchen nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus in Österreich im März 1938, wurden die Instrumente stark beschädigt, Instrumentenzubehör, Bücher und Möbel geraubt. Die Familie Kuffner musste flüchten und die Sternwarte wurde zum Sitz der NSDAP-Ortsgruppe "Waidäcker". Laut prof. Graff wurde die Sternwarte später vom Kreisbefehls-Stab besetzt. 1944 wurde die Sternwarte samt Direktorsvilla und ein großer Teil der zur Sternwarte gehörenden Liegenschaften Reichseigentum.
Prof. Graff wurde bereits Ende April 1938, offiziell wegen Unterschlagung, tatsächlich aber aus politischen Gründen von seinem Amt enthoben. [Ref. 4.), Seite 2] Der neue Direktor der Universitätssternwarte Bruno Thüring, hatte laut Weiss kein Interesse an der Kuffner Sternwarte. In Graffs Manuskript der Rede zur Eröffnung der Kuffner-Sternwarte als Volkssternwarte 1947 ist zu lesen: "Mein Nachfolger im Amt hatte nicht das geringste Interesse für die Kuffnersche Erbschaft. Diese Sternwarte 'heißt es in einem Bericht der ganz dem Sinn und Tonfall dieser Zeit entspricht', die von einem rassefremden Großkapitalisten und Gebäudespekulanten aus irgendwelchen egoistischen Motiven gegründet wurde, wird niemals ein der Wiener Universität würdiges Institut sein." [Ref. 3.) ] Tatsächlich aber stammt dieses Zitat von Prof. Adalbert Prey, der 1940 ein Gutachten verfasste, worin er sich ausdrücklich gegen die Übernahme der Kuffner-Sternwarte aussprach [Ref. 7.) ]. Nach Graff stand die Universitätssternwarte zunächst unter der kommissarischen Leitung von Prey. Thürings Direktorat begann offiziell erst am 20. Jänner 1941 [Ref. 8.) ]. Anders als Graff, der sich nach eigenen Angaben einst ebenfalls ganz klar gegen eine Übernahme der Kuffner-Sternwarte ausgesprochen hatte, lässt sich belegen, dass Prof. Thüring Anspruch auf die Ottakringer Sternwarte erhob. Verweisend auf geltende Verordnungen wurde Thüring allerdings eine klare Absage erteilt [Ref. 6.). Die NSDAP-Ortsgruppe blieb in der Sternwarte.
Vor diesem Hintergrund, grenzt es heute an ein Wunder, dass die Kuffner-Sternwarte den Zweiten Weltkrieg halbwegs gut überstanden hat.
Die Kuffner-Sternwarte als Volkssternwarte
Nach Kriegsende fassten Prof. Graff, der wieder als Direktor der Universitätssternwarte eingesetzt wurde und der damalige Direktor der Volkshochschule Alsergrund, Hans Menschik sowie der Arzt und Amateurastronom Dr. Josef Gürtler den Plan, in der Kuffner Sternwarte ein Volksbildungsinstitut einzurichten. Eine Kommission beschloss jedoch, dass die Kuffner-Sternwarte vor allem Studenten der Astronomie und Lehramtskandidaten als Übungsstätte dienen sollte.
In einem Schreiben vom März 1946, an das Dekanat der philosophischen Fakultät, weist Graff darauf hin, die Kuffner-Sternwarte wäre 1944 für die Zwecke der Universitätssternwarte erworben worden und fordert die sofortige Räumung. Denn gleich nach Kriegsende wurde die Kuffner-Sternwarte von der SPÖ, der ÖVP und den Naturfreunden besetzt. Der erste Mietvertrag wurde bereits im Juni 1945 unterzeichnet.
Im Mai 1946 erhielt Graff ein Schreiben von der Universitätsgebäudeverwaltung, in dem mitgeteilt wurde, es bestehe bezüglich des Ankaufs der Sternwarte keine Aktenlage. Im Juni antwortet Graff, die Sternwarte sei am 30. 9. 1944 in den Besitz des Staates übergegangen. Wobei in diesem Kaufvertrag das gesamte Inventar, also auch die Instrumente nicht eingeschlossen waren.
Trotz der Rechtslage hinsichtlich des Inventars, wurde noch 1946 mit ersten Instandsetzungsarbeiten begonnen.
Man versuchte wohl vollendete Tatsachen zu schaffen, indem die Kuffner-Sternwarte am 21. März 1947 als neue Wiener Volkssternwarte eröffnet wurde. Dies immerhin Monate nach Verabschiedung des 1. Rückstellungsgesetzes und nachdem sich der Anwalt von Moriz von Kuffners Sohn Stephan bereits eingeschaltet hatte, worüber auch Graff in Kenntnis gesetzt worden war. Betreiber der Sternwarte war die Volkshochschule Alsergrund (später Wien-Nordwest), die die Leitung der Sternwarte übernahm. Technischer Leiter war Prof. Dipl.-Ing. Walter Jaschek. Auch die Astronomin Dr. Maria Wähnl, ab 1956 Leiterin der Urania-Sternwarte, bot ab 1947 ehrenamtlich Führungen auf der Kuffner-Sternwarte an. [Ref. 4.), Seite 301] Am 22. März 1947 schrieb der Dekan der philosophischen Fakultät an Gürtler, man wäre unter folgenden Bedingungen damit einverstanden, dass die provisorische Leitung der Kuffner-Sternwarte bis zur endgültigen Regelung vom Fachreferenten beim Kulturamt der Stadt Wien ausgeübt wird: Die Universitätssternwarte behält das ausschließliche Verfügungsrecht über die Instrumente, die Aufsicht über etwaige damit angestellte wissenschaftliche Arbeiten und die Entscheidung über die spätere Verteilung der Räumlichkeiten.
Am 12. April 1947 unterrichtet der Anwalt der Familie Kuffner Herrn Prof. Graff darüber, dass die Erben bis dato bezüglich der Liegenschaften, zu keinem Entschluss gekommen sind. "Jedenfalls behalten sich die Erben alle Ansprüche vor, die ihnen bezüglich der in Rede stehenden zwei Liegenschaften nach der Rückerstattungsgesetzgebung zustehen werden."
Doch erst ab 1950 befand sich die Sternwarte wieder im Besitz der Familie Kuffner. 1951 verkaufte die Familie die Sternwarte ohne Instrumente an die gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft Heim. Und erst 1968 schenkte Moriz von Kuffners Erbin, seine Enkelin Vera Eberstadt, die Instrumente der Republik Österreich, die sie an die Volkshochschule Alsergrund weiter schenkte.
Allerdings geriet die Kuffner-Sternwarte, die sich bis Mitte der 50er-Jahre doch einigermaßen an Beliebtheit erfreute, mehr und mehr in Vergessenheit. Mitte der 70er-Jahre konnten selten mehr als 500 Besucher jährlich gezählt werden.
1980 verstarb Walter Jaschek. Seine Nachfolge als Leiter trat Univ.Doz. Dr. W. W. Weiss an, doch sollte seine Amtszeit nicht lange währen. Im Mai 1982 kündigte die Volkshochschule Wien-Nordwest plötzlich den Mietvertrag für die Sternwarte.
Die Wiener Volksbildung stellte den Betrieb der Kuffner-Sternwarte als Volkssternwarte aus Rentabilitätsgründen ein.
Wäre die Sternwarte 1977 nicht unter Denkmalschutz gestellt worden, würde sie heute wahrscheinlich nicht mehr bestehen.