GAIA verzehnfacht Vermessung von Kleinkörpern des Sonnensystems
Nun hat GAIA bei der neuesten Herausgabe von vorläufigen
Daten, dem sogenannten "Data Release 3", kurz "DR3", auch wichtige Ergebnisse zu den Kleinkörpern des Sonnensystems vorgestellt.
Daten zu Bahnen und Farbinformationen (Reflexionsspektren) liegen nun für rund 154 741 Asteroiden vor. Damit kann
auf die Zusammensetzung für eine wesentlich größere Anzahl von Asteroiden geschlossen werden (siehe Videos unten).
Auch 24 Transneptun-Objekte, die hellsten dieses zweiten Gürtels von Kleinkörpern, außerhalb
der Bahnen der bekannten 8 Planeten des Sonnensystems, und 446 "Erdnahe Objekte" (NEOs)
erhielten "GAIA-genaue" Bahnen.
Der "DR3" enthält eine beispiellose Menge neuer, verbesserter und detaillierterer Daten, in nie
gekannter Genauigkeit über fast zwei Milliarden Objekte in der Milchstraße und den sie umgebenden Kosmos.
Der GAIA Data Release 3 revolutioniert unser Wissen über das Sonnensystem, die Milchstraße und ihre Begleitgalaxien.
Die Weltraummission GAIA der Europäischen Weltraumorganisation ESA erstellt eine sehr präzise
dreidimensionale Darstellung unserer Milchstraße und beobachtete fast zwei Milliarden Sterne, das entspricht
etwa einem Prozent aller Sterne in unserer Galaxie. Gaia wurde im Dezember 2013 gestartet und hat seit Juli
2014 wissenschaftliche Daten gesammelt. Am Montag, den 13. Juni 2022, veröffentlichte die ESA GAIA-Daten
im Data Release 3 (DR3). Finnische Forscher waren maßgeblich daran beteiligt.
Gaia-Daten ermöglichen beispielsweise die Ableitung von Umlaufbahnen und physikalischen
Eigenschaften von Asteroiden und Exoplaneten. Die Daten helfen dabei, den Ursprung und
die zukünftige Entwicklung des Sonnensystems und der Milchstraße aufzudecken und zu helfen,
die Entwicklung von Stern- und Planetensystemen und unseren Platz im Kosmos besser zu verstehen.
Gaia dreht sich in etwa sechs Stunden um seine Achse und besteht aus zwei optischen
Weltraumteleskopen. Drei wissenschaftliche Instrumente ermöglichen die genaue
Bestimmung von Sternpositionen und -geschwindigkeiten sowie deren spektralen
Eigenschaften. Gaia befindet sich etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde
entfernt in Anti-Sonnen-Richtung, wo sie zusammen mit der Erde die Sonne in
der Nähe des Lagrange-Punktes L2 umkreist.
Die Vorstellung von Gaia DR3 am 13. Juni 2022 war für die gesamte Astronomie
von Bedeutung. Etwa 50 wissenschaftliche Artikel werden mit DR3 veröffentlicht,
von denen neun Artikel dem außergewöhnlich hohen Potenzial von DR3 für die
zukünftige Forschung gewidmet sind.
Die neuen DR3-Daten umfassen beispielsweise die chemische Zusammensetzung,
Temperaturen, Farben, Massen, Helligkeiten, Alter und Radialgeschwindigkeiten
von Sternen. DR3 umfasst den bisher größten Doppelsternkatalog für die
Milchstraße, mehr als 150.000 Objekte des Sonnensystems, hauptsächlich
Asteroiden, aber auch Planetensatelliten, sowie Millionen von Galaxien
und Quasaren jenseits der Milchstraße.
„Es gibt so viele revolutionäre Fortschritte, dass es schwierig ist, einen
einzelnen der bedeutendsten Fortschritte zu benennen. Basierend auf Gaia
DR3 werden finnische Forscher die Vorstellung von Asteroiden in unserem
Sonnensystem, Exoplaneten und Sternen in unserer Milchstraße sowie Galaxien
selbst ändern, einschließlich der Milchstraße und der sie umgebenden
Satellitengalaxien. Für das Leben auf unserem Heimatplaneten wird Gaia
ein besonders genaues Bezugssystem für die Navigation und Positionsbestimmung
ermöglichen", sagte Akademieprofessor Karri Muinonen von der Universität Helsinki.
Gaia und Asteroiden
Im Vergleich zu DR2, dem vorangegangenen GAIA-Datensatz, gibt es bei DR3 die zehnfache Zunahme an der
Anzahl der gemeldeten Asteroiden, was bedeutet, dass es eine signifikante
Zunahme an der Anzahl enger Begegnungen zwischen von Gaia entdeckten
Asteroiden gibt. Diese engen Begegnungen können für die Massenschätzung
von Asteroiden genutzt werden, und wir erwarten ein Zunahme bei der
Anzahl von Asteroidenmassen, die durch die Verwendung der
GAIA-DR3-Astrometrie abgeleitet werden können, insbesondere in Kombination
mit Astrometrie, die von anderen Teleskopen stammt.
Bei der herkömmlichen Berechnung der Umlaufbahn eines Asteroiden
wird angenommen, dass der Asteroid ein punktförmiges Objekt ist,
und seine Größe, Form, Rotation und Albedo werden nicht berücksichtigt.
Die Gaia-DR3-Astrometrie ist jedoch so genau, dass der Winkeleffekt
zwischen dem Massenmittelpunkt des Asteroiden und dem Zentrum
des von der Sonne beleuchteten und für Gaia sichtbaren Bereichs
berücksichtigt werden kann. Basierend auf Gaia DR3 wurde der
Offset für den Asteroiden (21) Lutetia zertifiziert
Die ESA-Mission Rosetta fotografierte Lutetia während des
Vorbeiflugs am 10. Juli 2010. Mit Hilfe der Rosetta-Lutetia-Bilder
und bodengestützter astronomischer Beobachtungen wurde eine
Rotationsperiode, eine Rotationspolorientierung und ein
detailliertes Formmodell abgeleitet. Wenn die physikalische
Modellierung in die Umlaufbahnberechnung integriert wird,
werden die systematischen Fehler entfernt und im Gegensatz
zur herkömmlichen Berechnung können alle Beobachtungen in
die Bahnlösung einfließen. Folglich liefert die Gaia-Astrometrie
Informationen über die physikalischen Eigenschaften von Asteroiden.
Diese Eigenschaften müssen durch physikalische Modelle oder
empirische Fehlermodelle für die Astrometrie berücksichtigt werden.
Gaia DR3 beinhaltet erstmals Spektral-Beobachtungen. Das
Spektrum misst die Farbe des Ziels, also die Helligkeit bei
verschiedenen Wellenlängen. Besonders interessant ist, dass
die neue Version etwa 60.000 Spektren von Asteroiden in unserem
Sonnensystem enthält (Abbildung 3). Diese Asteroidenspektren
enthalten Informationen über deren Zusammensetzung und damit
über Ursprung und die Entwicklung des gesamten Sonnensystems.
Vor Gaia DR3 waren nur wenige tausend Asteroidenspektren verfügbar,
daher wird Gaia die Datenmenge um mehr als eine Größenordnung
vervielfachen.
Gaia und Exoplaneten
Es wird erwartet, dass Gaia Nachweise von bis zu 20.000
riesigen Exoplaneten liefern wird, indem ihre Gravitationswirkung
auf die Bewegung ihrer Zentralsterne gemessen wird. Dies
wird es ermöglichen, in den kommenden Jahren praktisch
alle jupiterähnlichen Exoplaneten in der Nachbarschaft der
Sonne zu finden und zu bestimmen, und wie häufig Sonnensystem-
ähnliche Architekturen vorkommen. Die erste derartige astrometrische
Entdeckung von Gaia war ein riesiger Exoplanet um Epsilon Indi A,
der dem nächsten jupiterähnlichen Exoplaneten in nur 12 Lichtjahren
Entfernung entspricht. Die ersten derartigen Nachweise sind möglich,
weil die bei Radialgeschwindigkeitsmessungen beobachtete
Beschleunigung mit Bewegungsdaten von Gaia kombiniert werden können,
um die Umlaufbahnen und Planetenmassen zu bestimmen.
Gaia und Galaxien
Die Auflösung von Mikrobogensekunden von Gaia DR3 liefert präzise
Messungen bei den Bewegungen von Sternen, nicht nur innerhalb unserer
eigenen Milchstraße, sondern auch bei den vielen Satellitengalaxien
die sie umgeben. Aus der Bewegung von Sternen innerhalb der
Milchstraße selbst können die Forscher ihre Massen genau messen,
und zusammen mit der Eigenbewegung von Satelliten können jetzt
auch ihre Umlaufbahnen genau bestimmt werden. Damit können die
Forscher sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft des
Galaxiensystems Milchstraße blicken. Sie können zum Beispiel
herausfinden, welche der Galaxien, die die Milchstraße umgeben,
echte Satelliten sind und welche nur vorbeiziehen. Sie können
auch untersuchen, ob die Entwicklung der Milchstraße kosmologischen
Modellen entspricht, und insbesondere, ob die Umlaufbahnen der
Satelliten zum Standardmodell der Dunklen Materie passen.
Gaia und das Bezugssystem (Intertialsystem)
Der International Celestial Reference Frame, ICRF3, basiert auf der Position einiger tausend Quasare, die durch Very Long Baseline Interferometry (VLBI) bei Radiowellenlängen bestimmt wurden. ICRF3 wird verwendet, um die Koordinaten von Himmelsobjekten zu erhalten und die Bahnen von Satelliten zu bestimmen. Auch Quasare des ICRF3 sind Fixpunkte am Himmel, mit denen sich jederzeit die genaue Ausrichtung der Erde im All bestimmen lässt. Ohne diese Informationen würde beispielsweise die Satellitenortung nicht funktionieren.
Die Daten von Gaia enthalten etwa 1,6 Millionen Quasare, die verwendet werden können, um einen genaueren Himmelsreferenzrahmen im sichtbaren Licht zu erstellen, der den aktuellen ersetzt. Dies wird sich in Zukunft sowohl auf die Genauigkeit der Satellitenpositionierung als auch auf die Messungen von Erderkundungssatelliten auswirken.
ESA-Videos
Hintergrund - Asteroid, Planetoid, Kleinplanet oder Kleinkörper des Sonnensystems?
Die Kleinkörper des Sonnensystems umfassen Kometen, Asteroiden (ehemals auch Kleinplaneten oder Planetoiden genannt)
und alles was nicht als Staub, Zwergplanet oder Planet die Sonne umkreist. Die Unterscheidung nach Erscheinung, etwa
Kometen einerseits, Asteroiden andererseits wurde in der Systematik der Körper des Sonnensystems aufgegeben.
Immer wieder verwandelten sich alte Kometen in Asteroiden oder
vermeintliche Asterioden zeigten bei Annäherung an die Sonne infolge der Erwärmung kometenartige Phänomene wie
Gashülle (Koma) oder die typischen Schweife. Bei den Centauren, die vom äußeren ins innere Sonnensystem
mirgrieren ist die Verwandlung der Phänomenologie - vom sternartigen Punkt, also einem Asteroiden, zu einem Objekt mit
kometenartiger Hülle und Schweif - geradezu Programm.
10. Juli 2022/SP+GW; 13. Juli überarbeitet GW
Verein Kuffner-Sternwarte