Der große Unterschied zwischen der stark mit Kratern bedeckten Rückseite des Mondes und den tiefer gelegenen offenen Becken auf der Vorderseite des Mondes verblüfft die Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten.
Jetzt gibt es neue Hinweise, dass die Unterschiede durch einen umherirrenden Zwergplaneten verursacht wurden, der in der Frühgeschichte des Sonnensystems mit dem Mond kollidierte. Ein Bericht über die neue Forschung wurde in AGUs Journal of Geophysical Research: Planets, veröffentlicht.
Das Rätselraten über die beiden Gesichter des Mondes begann in der Apollo-Ära, als die ersten Blicke auf die Mond-Rückseite den überraschenden Unterschied offenbarten. Die Messungen, die 2012 von der Mission Gravity Recovery and Interior Laboratory (GRAIL) durchgeführt wurden, ergaben weitere Details zur Struktur des Mondes – einschließlich der Dicke seiner Kruste und einer zusätzlichen Materialschicht auf seiner Rückseite.
Es gibt eine Reihe von Ideen mit denen versucht wird, die Asymmetrie des Mondes zu erklären. Eine Idee ist, dass es einst zwei Monde gab, welche die Erde umkreisten und sich in den frühen Tagen der Mondentstehung vereinigten. Eine andere Idee ist, dass ein großes Objekt, vielleicht ein junger Zwergplanet der sich in einer Umlaufbahn um die Sonne befand, auf Kollisionskurs mit dem Mond geriet. Diese letztgenannte Idee eines Rieseneinschlags wäre etwas später eingetreten als die Verschmelzungs-Theorie von zwei Objekten und nachdem der Mond schon eine feste Kruste ausgebildet hatte, sagte Meng Hua Zhu vom Space Science Institute der Macau University of Science and Thechnology und Hauptautor der neuen Studie. Anzeichen eines solchen Einschlags sollten heute in der Struktur der Mondkruste zu sehen sein.
„Die detaillierten Gravitationsdaten von GRAIL haben neue Einblicke in die Struktur der Mondkruste unter der Oberfläche gegeben“, sagte Zhu.
Die neuen Erkenntnisse von GRAIL gaben dem Forscherteam von Zhu ein klareres Ziel für die Computersimulationen, mit denen sie verschiedene frühe Mond-Einschlagszenarien testeten. Die Autoren der Studie führten 360 Computersimulationen von riesigen Einschlägen auf dem Mond durch um herauszufinden, ob ein solches Ereignis vor Millionen von Jahren die von GRAIL festgestellte Kruste des heutigen Mondes reproduzieren könnte.
Der Test mit einem Objekt, das einen Durchmesser von etwa 780 Kilometern hatte und mit einer Geschwindigkeit von 22.500 Kilometern pro Stunde auf der Vorderseite des Mondes einschlug, führte zur besten Übereinstimmung. Dies würde einem Objekt entsprechen, das etwas kleiner war als der Zwergplanet Ceres und sich mit einer Geschwindigkeit bewegte, die etwa ein Viertel jener Geschwindigkeit entsprach, mit der sich Meteore bewegen, die als „Sternschnuppen“ in der Erdatmosphäre verglühen. Mithilfe der Computersimulationen fand das Team aber auch noch ein weiteres gut passendes Szenario für einen Einschlag. In diesem Fall hätte das Objekt einen Durchmesser von 720 Kilometern gehabt und wäre mit einer Geschwindigkeit von 24.500 km/h aufgeprallt.
Bei beiden Szenarien zeigt das Modell, dass der Einschlag große Mengen an Material ausgeworfen hat, das auf die Mondoberfläche zurückfiel und die ursprüngliche Kruste auf der Rückseite unter einer 5 bis 10 Kilometer dicken Trümmerschicht begrub. Das ist die zusätzliche Krustenschicht, die GRAIL laut Zhu auf der Rückseite entdeckt hat.
Die neue Studie legt nahe, dass der Impaktor wahrscheinlich kein früher zweiter Mond der Erde war. Was auch immer der Impaktor war – ein Asteroid oder ein Zwergplanet – er befand sich vermutlich auf einer Umlaufbahn um die Sonne, als er auf den Mond stieß, sagte Zhu.
Das Einschlagmodell liefert auch eine gute Erklärung für die ungeklärten Unterschiede bei den Isotopen von Kalium, Phosphor und Seltenerdelementen wie Wolfram-182 zwischen den Oberflächen der Erde und des Mondes, sagen die Forscher. Diese Elemente könnten von jenem riesigen Einschlag stammen, der dem Mond nach seiner Entstehung dieses Material hinzugefügt hat, meinen die Autoren.
„Im Kontext eines gigantischen Einschlagszenarios nach der Entstehung des Mondes kann unser Modell diese Isotopen-Anomalie erklären“, schrieben die Forscher.
Die neue Studie schlägt nicht nur eine Antwort auf die aktuellen Fragen zum Mond vor, sondern liefert möglicherweise auch Einblicke in die Struktur anderer asymmetrischer Welten in unserem Sonnensystem, wie dem Mars, so die Forscher.
„Dies ist ein Artikel, der sehr provokativ sein wird“, sagte Steve Hauck, Professor für planetare Geodynamik an der Case Western Reserve University und Chefredakteur der JGR: Planets. „Die Ursache der Unterschiede zwischen der Vorderseite und der Rückseite des Mondes zu verstehen, ist ein grundlegendes Thema in der Mondwissenschaft. In der Tat haben einige Planeten hemisphärische Dichotomien, aber für den Mond haben wir viele Daten, um Modelle und Hypothesen zu testen. So könnte die Bedeutung der Arbeit wahrscheinlich umfassender sein als nur für den Mond.“