Eine Welt in der Regen fällt, sich in Seen und Teichen sammelt, in den umgebenden Felsen sickert, verdampft um dann wieder als Regen zu fallen. Es gibt nur einen Haken: Diese Welt ist nicht die Erde, sondern der Saturnmond Titan, wo der Regen kein Wasser ist sondern flüssiges Methan.
Zwei neue Artikel untersuchen, wie sich dieser unheimlich vertraute „Wasserkreislauf“ auf Titans Oberfläche manifestiert. Zu diesem Zweck wandten sich zwei separate Forschungsteams an Daten der Cassini-Mission, deren Aufenthalt im Saturnsystem im September 2017 endete. Die Raumsonde flog mehr als 100 Mal am Mond vorbei und sammelte dabei entscheidende Beobachtungen von dieser fremden Welt.
Einige dieser Beobachtungen zeigten den Wissenschaftlern etwas wirklich Außergewöhnliches: Einen ersten Blick auf Flüssigkeit, die sich an der Oberfläche befand, und nicht nur Geisterbilder von Flüssigkeitsstrukturen. „Titan ist die einzige Welt außerhalb der Erde, wo wir Seen aus Flüssigkeit auf der Oberfläche sehen“, sagte Rosaly Lopes, eine Planetenwissenschaftlerin am JPL und Mitarbeitern bei der Cassini-Mission, die aber an keiner der neuen Arbeiten beteiligt war. „Einige von uns nennen Titan gerne die Erde des äußeren Sonnensystems“ fügte Lopes hinzu.
„Titan ist der interessanteste Mond im ganzen Sonnensystem. Diese Aussage macht mir nicht nur Freunde, aber ich denke, dass es wirklich so ist“, sagte Shannon MacKenzie, Hauptautorin einer der beiden neuen Studien und Planetenwissenschaftlerin an Johns Hopkins Universitys Applied Physics Laboratory. „Das heißt aber nicht, dass der Mond einfach zu verstehen ist. Titan stiftet eine Menge Verwirrung,“ sagte sie.
MacKenzie analysierte drei kleine Oberflächenmerkmale, die, als Cassini sie zum ersten Mal sah, mit Flüssigkeit gefüllte Seen zu sein schienen, aber bei der Rückkehr der Raumsonde scheinbar ausgetrocknet waren. Die Beobachtungen legen nahe, dass die Flüssigkeit entweder verdampft ist oder in die umgebende Planetenoberfläche eingesickert ist.
Diese „Phantom-Seen“ könnten ein Hinweis auf saisonale Veränderungen auf dem Mond sein, glauben MacKenzie und ihre Co-Autoren. Sieben Erdjahre vergingen zwischen den beiden Beobachtungen der Raumsonde von diesem Gebiet. In dieser Zeit ging die Nordhemisphäre des Mondes vom Winter in den Frühling über.
Die Situation ist jedoch nicht ganz so einfach, da die beiden Beobachtungssätze von verschiedenen Instrumenten gemacht wurden. Cassini wurde entwickelt, um Daten entweder mit seinem Radargerät aufzunehmen oder mit seinen Kameras im optischen oder infrarotem Licht zu erfassen, jedoch nicht gleichzeitig. Während des ersten Vorbeiflugs der Raumsonde war die Region zu dunkel um die Kameras einsetzen zu können.
Daher mussten MacKenzie und ihre Kollegen den Wechsel der Instrumente als mögliche Variable berücksichtigen. Aber sie ist trotzdem zuversichtlich, dass etwas bei den beiden Vorbeiflügen anders war und dass es plausibel ist, dass Flüssigkeit da war und dann verschwunden ist. Auch wenn die unterschiedlichen Signale bei den beiden Vorüberflügen durch ein anderes Phänomen verursacht wurden, ist es immer noch faszinierend, was uns dieser fremde Mond erzählen könnte, der zu den plausiblen Kandidaten gehört, wo es Leben jenseits der Erde geben könnte.
„Wenn wir uns stattdessen einige neu identifizierte Materialien auf der Oberfläche ansehen, ist das auch sehr interessant, weil die Sedimente auf Titan für die präbiotische Chemie wirklich wichtig sind“, sagte MacKenzie.
Obwohl MacKenzie sich auf die drei kleinen Seen konzentrierte, die scheinbar verschwunden sind, bleiben in dieser Region noch viele Seen sichtbar. In dem zweiten Artikel, der auch vor kurzem veröffentlicht wurde, verwendeten Wissenschaftler die Radardaten, um eine Handvoll viel größerer Seen zu untersuchen.
Während Cassinis letztem Vorbeiflug im April 2017 wurde die Raumsonde so programmiert, dass sie Altimetrie-Daten über der Seeregion erfasste, um die Höhe der verschiedenen Substanzen zu messen. Marco Mastrogiuseppe, ein Planetenwissenschaftler am Caltech, hat bereits ähnlich Daten verwendet, um die Tiefen einiger der Meere auf Titan zu messen, die viel größere Flüssigkeits-Körper sind, und das Cassini-Team hoffte, dass er dies auch bei den Seen tun könnte.
Mastrogiuseppe und seine Kollegen taten dies und veröffentlichten die Ergebnisse in ihrem neuen Artikel. Sie identifizierten die Böden von Seen die mehr als hundert Meter tief waren und stellten fest, dass ihr Inhalt von flüssigem Methan dominiert wird. „Wir haben erkannt dass die Zusammensetzung der Seen im wesentlichen jener der Meere gleicht,“ sagte er. „Wir glauben, dass diese Seen von lokalem Regen gespeist werden.“
Dies deutet darauf hin, dass Titan unter seiner Oberfläche ein weiteres Merkmal beherbergt das an die Erde erinnert: Höhlen. Auf der Erde werden viele Höhlen durch Wassereintritt gebildet, das umliegende Gesteinsarten wie z. B. Kalk auflöst und eine Karstlandschaft hinterlässt, die durch Quellen, Aquifere (Grundwasserleiter), Höhlen und Dolinen gekennzeichnet sind.
Forscher, die die Seeregion auf Titan erforschen glauben, dass sie ähnliche Charakteristika sehen, wie sie eine Karstlandschaft kennzeichnet. Sie haben auch keine Kanäle entdeckt, welche all diese verschiedenen Flüssigkeits-Strukturen miteinander verbinden. Aus diesem Grund vermuten Mastrogiuseppe und andere, dass einiges von der Flüssigkeit in das umgebende Gelände sickert, ähnlich wie bei den Karst-Systemen auf der Erde.
„Titan ist wirklich eine Welt, die der Erde geologisch ähnlich ist. Die Wechselwirkungen zwischen den Flüssigkeitskörpern und deren Geologie zu studieren ist etwas, was wir früher nicht wirklich konnten,“ sagte Lopes. Die neuen Studien beginnen dies zu erreichen, indem sie die Interaktionen live auf einem anderen planetaren Objekt erleben.
Natürlich ist es viel schwieriger, diese Wechselwirkungen auf einer Welt zu studieren, die noch nie im Mittelpunkt einer Mission stand. Eine solche Mission wird wohl nicht so bald stattfinden, aber die NASA erwägt ernsthaft ein Projekt mit Namen „Dragonfly“, das eine Drohne auf dem Mond landen würde. Wenn Dragonfly ausgewählt werden sollte, würde die Mission 2025 starten und neun Jahre später Titan erreichen. Und wenn sich die NASA nicht für Dragonfly entscheidet, stehen die Chancen dennoch gut, dass es ein anderes Missionskonzept geben wird. „Titan ist zu cool, um nicht dahin zurück zu gehen,“ sagte MacKenzie.