Der 111 Jahre alte mysteriöse Einschlag inspiriert zu neuen optimistischeren Vorhersagen von Asteroiden-Einschlägen.
Jeden Tag treffen viele Tonnen aus winzigen Steinen – kleiner als Kieselsteine – auf die Erdatmosphäre und zerfallen. Zwischen den häufigen Sternschnuppen die wir uns am Nachthimmel wünschen und den massiven Asteroiden, die lebensbedrohlich sein können, gibt es mittelgroße Steine, welche die Atmosphäre durchdringen und eine begrenzte Fläche ernsthaft beschädigen können. Neue Untersuchungen der NASA deuten darauf hin, dass die Einschläge dieser mittelgroßen Steine möglicherweise seltener sind als bisher angenommen wurde.
Die Untersuchung ergab, dass solche relativ kleinen, aber regional verheerenden Einschläge in der Größenordnung von Jahrtausenden auftreten – nicht wie bisher angenommen in Jahrhunderten. Darüber hinaus hat die neue Forschung unser Wissen über die komplexen Prozesse erweitert, die entscheidend sind wie große Gesteine aus dem Weltraum beim Eintritt in die Erdatmosphäre zerfallen.
Die neue Untersuchung wurde von einem Workshop im Ames Research Center der NASA im Silicon Valley inspiriert, der vom Planetary Defense Coordination Office gesponsert wurde. Ihre Ergebnisse werden in einer Reihe von Artikeln in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Icarus veröffentlicht. Das Thema des Workshops: Überprüfung des ungelösten astronomischen Tunguska-Impakt-Ereignisses von 1908.
Tunguska erneut untersucht
Vor 111 Jahren waren Hunderte von Rentieren und einige Dutzend Menschen Zeugen eines Asteroideneinschlags – obwohl sie sich damals dieser Tatsache nicht bewusst waren. Eine Explosion hinterließ einen Schauplatz in Sibirien, Russland, der nur wenige Hinweise auf seine Entstehung verriet, außer dass 500.000 Morgen unbewohnter Wald flachgelegt wurden, das Land verbrannte, „glühende Wolken“ entstanden und Stoßwellen erzeugt wurden, die auf der ganzen Welt registriert wurden. Zeitungen berichteten, dass dies eine Vulkanexplosion oder ein Grubenunglück oder – das galt damals als eine weit hergeholte Idee – ein Asteroid oder Komet gewesen sein könnte, der die Erde getroffen hat.
Das Ereignis vom 30. Juni 1908 in der Nähe des steinigen Flusses Tunguska fasziniert weiterhin die Öffentlichkeit und Rätsel-Forscher. Die vulkanischen und bergbaulichen Erklärungen wurden wegen des Mangels an physischen Beweisen schnell verworfen. Die Forscher schlossen daraus, dass die Explosion von einem massiven Objekt kam, das mit der Erde kollidierte. Allerdings passten nicht alle Beweise – niemand hatte Bilder von dem vermeintlichen Asteroiden, niemand fand einen Krater und niemand fand Fragmente. Die ersten wissenschaftlichen Forscher haben das Gebiet erst in den 1920er Jahren erkundet.
„Tunguska ist der größte kosmische Impakt, den der moderne Mensch bezeugen kann“, sagte David Morrison, ein Planetenwissenschaftler beim Ames Research Center. „Er ist auch charakteristisch für die Art von Einschlägen, gegen die wir uns in Zukunft schützen müssen.“
Neue Ergebnisse
Kurzer Rückblick zum 15. Februar 2013, als ein kleiner aber immer noch beeindruckender Meteor in der Atmosphäre nahe Tscheljabinsk, Russland, explodierte. Neue Beweise zur Lösung des Rätsels um Tunguska waren eingetroffen. Dieser sehr gut dokumentierte Feuerball bot Forschern die Möglichkeit, moderne Computer-Modellierungs-Techniken anzuwenden, um zu erklären, was gesehen, gehört und gefühlt wurde.
Die Modelle wurden mit Video-Beobachtungen des Feuerballs und Karten von den Schäden am Boden verglichen, um die ursprüngliche Größe, Bewegung und Geschwindigkeit des Tscheljabinsk-Objekts zu rekonstruieren. Die daraus resultierende Interpretation ist, dass Tscheljabinsk höchstwahrscheinlich ein steiniger Asteroid von der Größe eines fünfstöckigen Gebäudes war, der 24 Kilometer über der Erdoberfläche auseinanderbrach. Dies erzeugte eine Schockwelle, die einer Explosionsenergie von 550 Kilotonnen entsprach. Die Schockwelle der Explosion hat ungefähr eine Million Fenster zerstört und mehr als tausend Menschen verletzt. Glücklicherweise reichte die Wucht der Explosion nicht aus, um Bäume und Bauwerke zu zerstören.
Nach heutigem Kenntnisstand über die Asteroidenpopulation kann ein Objekt wie der Tscheljabinsk-Meteor durchschnittlich alle 10 bis 100 Jahre die Erde treffen.
Aber was ist mit größeren Objekten, die eine Stadt an einem Unglückstag auslöschen könnten? Forscher haben nun mit modernen Analysetechniken das rätselhafte Tunguska-Ereignis von 1908 erneut untersucht. Einer langjährigen Debatte darüber, wie häufig diese Ereignisse stattfinden könnten, ist man nun einen Schritt näher gekommen.
Extrapolieren von Hinweisen
Mit Hilfe von Computerressourcen und den Aufzeichnungen von der zerstörten Region aus dem vorigen Jahrhundert, hat man die Wahrscheinlichkeit von Impakt-Raten nicht nur auf der Grundlage der Größe des Impaktors vorhergesagt, sondern eine statistische Studie mit über 50 Millionen Kombinationen von Asteroiden- und Eintrittseigenschaften durchgeführt, die sich beim Auseinanderbrechen in Tunguska-ähnlichen Höhen ergeben könnten.
Einige dieser neuen Modelle konzentrierten sich auf Szenarien, die das Muster der Baum-Umstürze sowie die Verteilung der Baum- und Bodenverbrennungen reproduzieren konnten. Ein weiteres Modell befasste sich mit der Kombination der aufgezeichneten atmosphärischen Druckwellen mit den damals am Boden aufgezeichneten seismischen Signalen.
Diese neuen Ansätze führten - zusammen mit der Validierung der Modelle für das Ereignis in Tscheljabinsk - zu überarbeiteten Schätzungen dessen, was an diesem schicksalhaften Tag im Jahr 1908 geschehen sein könnte. Vier verschiedene Computermodellcodes führten zu ähnlichen Schlussfolgerungen und stärkten das Vertrauen in das Verständnis, wie Gesteine in unserer Atmosphäre auseinander brechen.
"Täter-Profiling"
Der vielversprechendste Kandidat war ein steiniges (kein eisiges) Objekt mit einem Durchmesser zwischen 50 und 80 Metern, das mit einer Geschwindigkeit von etwa 55.000 Kilometern pro Stunde in die Atmosphäre eindrang und eine Explosionsenergie von 10 bis 30 Megatonnen hatte, was der Explosionsenergie von 1980 entsprach, die der Ausbruch des Mount St. Helens in einer Höhe von 9 bis 14 Kilometern hatte. In Kombination mit den jüngsten Schätzungen der Asteroiden-Population gelangten die Forscher zu dem Schluss, dass das durchschnittliche Intervall zwischen solchen Impakten in der Größenordnung von Jahrtausenden liegt – nicht in Jahrhunderten wie zuvor angenommen wurde, basierend auf frühere Schätzungen der Population.
Das neue Ergebnis zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Aufpralls an einem beliebigen Tag in unserem Leben, oder im Leben unserer Kinder oder Kindeskinder usw. geringer ist, als wir bisher angenommen haben. Trotzdem müssen wir uns der Gefahr bewusst bleiben und uns darauf vorbereiten. Asteroiden haben die Erde getroffen und weitere Treffer werden folgen. Systeme, wie sie etwa die NASA entwickelt, sollen sicherstellen, dass wir uns besser auf gefährliche Ereignisse vorbereiten und diese auch verhindern können.
„Da es so wenige beobachtete Fälle gibt, bleibt eine große Unsicherheit darüber bestehen, wie große Asteroiden in der Atmosphäre auseinander brechen und wie viel Schaden sie auf der Oberfläche anrichten können“, sagte Lorien Wheeler, ein Forscher am Ames Research Center, der an NASAs Asteroid Threat Assessment Projekt arbeitet. „Die jüngsten Fortschritte bei den Rechenmodellen sowie die Analysen der Ereignisse in Tscheljabinsk und andere Meteor-Ereignisse tragen jedoch dazu bei, diese Faktoren besser zu verstehen, damit wir potenzielle Asteroiden-Bedrohungen in Zukunft besser einschätzen können.“
Wir finden immer noch neue Asteroiden und verfolgen ihre Umlaufbahnen, verfeinern ihre Aufprallwahrscheinlichkeiten und lernen mehr über ihren Aufbau mittels Teleskopen auf der Erde und im Weltraum und mit Weltraummissionen, die Asteroiden aus nächster Nähe untersuchen. Tunguska bleibt ein astronomisch ungelöster Fall, aber sein Geheimnis inspiriert die modernen Ermittler, zukünftige Bedrohungen zu reduzieren.