Obwohl erstmals 2004 vom Hubble aufgenommen, zeigen spätere Bilder, dass dieser winzige innerste Mond von Neptun vermutlich eine wilde Geschichte hat.
Ein Artikel, der von Mark Showalter (SETI Institute) und drei Kollegen verfasst wurde, erschien in der Nature-Ausgabe vom 21. Februar und trägt den Titel „The seventh inner moon of Neptune“. Allein aus dem Titel könnte man schlussfolgern, dass die Beobachter die Entdeckung eines winzigen neuen Objekts angekündigt haben, der den achten Planeten umkreist.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Internationale Astronomische Union hatte die Entdeckung des Mondes bereits im Juli 2013 bekanntgegeben. Er bekam die vorläufige Bezeichnung S/2004 N 1 (weil er zum ersten Mal auf Bildern gesichtet wurde, die im Jahr 2004 aufgenommen worden sind.
Was neu am Nature-Artikel ist, ist der jetzt offizielle Name des Objekts, die neuartige „Stacking“ Technik, die das Team bei seiner Entdeckung verwendete, und das, was dieses kleine Objekt über die Geschichte des Neptun-Systems erzählt.
Zuerst der Name: Showalter hat sich für Hippocamp entschieden, den Namen eines mythischen Meerestieres, das typischerweise mit dem Kopf und Torso eines Pferdes und dem Schwanz eines Fisches dargestellt wird. Das passt gut zum Namensschema, das die IAU für die Monde Neptuns verwendet, welche die griechische und römische Mythologie der Meere mit einschließt.
Showalter hat ein Talent dafür, lichtschwache Objekte bei den äußeren Planeten aufzuspüren – er hatte bereits den seltsam geformten Pan (30 km) innerhalb des Saturn-A-Rings, Mab (25 km) und Cupido (18 km) um Uranus und die länglichen kleinen Monde Kerberos (19 x 10 km) und Styx (16 x 9 km) um Pluto aufgespürt. Sein Schlüssel zum Erfolg ist eine Technik, welche auch die Amateur-Astrofotografen kennen.
Zur Erinnerung; Voryager 2 entdeckte sechs kleine Monde innerhalb der Umlaufbahn von Neptuns größtem Mond Triton, als die Sonde 1989 an Neptun vorbeiflog. Hippocamp war jedoch zu klein und entkam der Entdeckung. Showalter suchte 2004 und 2005 mit dem Hubble Weltraumteleskop nach weiteren inneren Monden bei Neptun. Monde die sich in einem Abstand von weniger als 200.000 km um den Planeten bewegen sind so schnell, dass die Hubble-Bilder nicht länger als etwa 5 Minuten belichtet werden dürfen, um übermäßige Abbildungs-Verschmierungen zu vermeiden. Aber diese kurzen Aufnahmen waren nicht empfindlich genug, um etwas so kleines wie Hippocamp aufzusprüren.
Aber da alles, was sich sehr nahe an Neptun bewegt, sicherlich in einer kreisförmigen Umlaufbahn nahe der Äquatorebene des Planeten angesiedelt wäre und das mit einer leicht vorhersehbaren Bewegung von Bild zu Bild, versetzte Showalter also jedes Hubble Bild digital, um es mit der vorhergesagten Bewegung abzugleichen und „stapelte“ so die Aufnahmen. Dabei tauchte Hippocamp immer wieder auf. Showalter nutzte den gleichen Trick bei weiteren Hubble-Aufnahmen in den Jahren 2009 und 2016. (Neugierig hat sein Team die Bahnbewegung von Hippocamp zurückverfolgt um zu sehen, ob dieses kleine Objekt vielleicht ungesehen in den Voyager-Aufnahmen auftaucht, aber dies war nicht der Fall.)
Ein zusätzlicher Vorteil dieser Suche waren verfeinerte Umlaufbahnen für die nahen Neptun-Monde. Zum Beispiel war der 75 km große Mond Naiad seit dem Vorbeiflug von Voyager 2 nicht mehr gesehen worden. Das Team von Showalter hat den Mond wiederentdeckt, aber an einer Stelle, die diametral entgegengesetzt jener Stelle lag, wo er hätte sein sollen. Thalassa (92 km) zu finden erwies sich als weniger herausfordernd, war jedoch immer noch um 19° von seiner vorhergesagten orbitalen Länge entfernt. Das Team berichtete auch, dass wahrscheinlich keine anderen Monde, die größer als 24 km sind, sich innerhalb von 200.000 km von Neptun entfernt befinden oder Monde größer als 20 km außerhalb dieser Zone.
Die wilde Geschichte von Hippocamp
Seltsamerweise ist die Umlaufbahn von Hippocamp nur 12.000 km innerhalb von Proteus Umlaufbahn, dem größten und massivsten Mond (407 km) der sechs entdeckten Monde von Voyager 2. Gezeiten-Wechselwirkungen mit Neptun treiben Proteus langsam nach außen, was bedeutet, dass Hippocamp in der Vergangenheit viel näher an Proteus war. Sind diese beiden Monde in irgendeiner Weise vielleicht miteinander verwandt?
In Anbetracht der weit verbreiteten Bahnresonanzen unter den Objekten der äußeren Planeten, hätten Bahndynamiker möglicherweise solche Beziehungen zwischen Neptuns inneren, eng beieinander liegenden Monden erwartet können. Showalter und sein Team haben die Hubble-Daten verwendet, um die Umlaufbahnen aller sieben inneren Monde zu verfeinern – und es sind keine Resonanzen irgendwelcher Art aufgetaucht.
Auf Proteus befindet sich ein großer Krater mit Namen Pharos. Er hat einen Durchmesser von mindestens 230 km – im Vergleich zum Mond ist das so groß, dass seine Entstehung Proteus fast zerstört hätte. Hippocamp macht dagegen nur etwa 2 % der Masse aus, die während des Einschlags, ausgeworfen wurde. Es klingt ziemlich plausibel, dass Hippocamp aus Fragmenten von Proteus entstand. Tatsächlich berechnete das Team von Showalter, dass die Einschläge von vorbei fliegenden Kometen den kleinen Mond in den letzten 4 Milliarden Jahren etwa neunmal zerstört haben, und er hat sich jedes Mal wieder neu zusammen gefügt. (Diese mehrfachen Zusammenfügungen erklären auch deutlich, warum die Umlaufbahn von Hippocamp, trotz des starken gravitativen Einflusses von Proteus, weder exzentrisch noch geneigt ist).
Hippocamp hat einen Radius von 9 km und eine Umlaufzeit von 22 Stunden.
Der Krater Pharos auf dem Mond Proteus ist so groß, dass die Menge des dort ausgeworfenen Materials wesentlich größer ist als der gesamte Mond Hippocamp. Daher nimmt Showalter an, dass Hippocamp anfangs vielleicht größer war und nach und nach auf seine heutige Größe reduziert wurde. Trotzdem scheint sein Fortbestehen bemerkenswert.
Meet Hippocamp, Neptune’s Smallest Moon (skyandtelescope.com)