In zwei separaten Studien sollen mit dem kommenden James Webb-Weltraumteleskop der NASA ein Team von Astronomen jene Zwerggalaxien beobachten, welche die Milchstraße und die nahe gelegene Andromeda-Galaxie begleiten. Das Studium dieser kleinen Begleiter wird den Wissenschaftlern helfen, die Entstehung von Galaxien und die Eigenschaften der dunklen Materie, einer mysteriösen Substanz die etwa 85 % der Materie des Universums ausmacht, kennenzulernen.
In der ersten Studie will das Team Kenntnisse über die dunkle Materie erlangen, indem sie die Bewegungen von Sternen in zwei Zwergbegleitern der Milchstraße messen wird. In der zweiten Studie untersuchen sie die Bewegungen von vier Zwerggalaxien unseres nächsten großen galaktischen Nachbarn, der Andromeda-Galaxie. Dies hilft festzustellen, ob einige der Satelliten-Galaxien von Andromeda in einer flachen Ebene kreisen, wie die Planeten um unsere Sonne. Wenn dies so ist, hätte dies wichtige Auswirkungen auf das Verständnis der Galaxienentstehung. Roeland van der Marel vom Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore, Maryland, wird beide Programme leiten.
Beobachtungen von Sternbewegungen in begleitenden Zwerggalaxien der Milchstraße
Die unserer Milchstraße am nächsten gelegenen Galaxien sind Zwerggalaxien, die viel kleiner sind als die Milchstraße. Van der Marel und sein Team planen, die Bewegungen von Sternen in zwei dieser Zwerggalaxien, Draco und Sculptor, zu untersuchen. Die Umlaufbahnen der Sterne werden von der Schwerkraft bestimmt, die von der Dunklen Materie in jeder Galaxie ausgeht. Indem die Forscher untersuchen, wie sich die Sterne bewegen, können sie feststellen, wie sich die Dunkle Materie in diesen Galaxien verteilt.
„Wie Strukturen im Universum entstehen, hängst von den Eigenschaften der dunklen Materie ab, die den größten Teil der Masse im Universum ausmacht“, erklärte van der Marel. „Wir wissen also, dass es dunkle Materie gibt, aber wir wissen nicht, was die Dunkle Materie eigentlich ausmacht. Wir wissen nur, dass es etwas im Universum gibt, dass Gravitation hat und an Dingen zieht, aber wir wissen nicht wirklich, was es ist.“
Das Team wird die Verteilung der Dunklen Materie in den Zentren der Zwerggalaxien untersuchen, um die Temperatureigenschaften dieses mysteriösen Phänomens zu bestimmen. Wenn die Dunkle Materie „kalt“ ist, wird ihre Dichte in der Nähe der Galaxien-Zentren sehr hoch sein. Wenn Dunkle Materie „warm“ ist, ist sie im gesamten Bereich, der sich den galaktischen Zentrum nähert, homogener.
Gleichzeitig untersucht Webbs Nahinfrarot-Kamera (NIRCam) die Zentren von Draco und Sculptor. Ein weiteres Instrument, der Near Infrared Imager and Slitless Spectrograph (NIRISS), werden die Außenbereiche der Zwerggalaxien untersuchen. „Diese gleichzeitigen Beobachtungen werden einen Einblick in die unterschiedlichen Bewegungen von Sternen in der Nähe des Zentrums und der Außenbereiche der Zwerggalaxien geben“, sagte Co-Forscher Tony Sohn von STScI. „Sie werden auch zwei unabhängige Messungen derselben Galaxie ermöglichen, um systematische oder instrumentelle Effekte zu überprüfen.“
Da das James Webb etwa die sechsfache Lichtsammelfläche des Hubble-Weltraumteleskops haben wird, kann das Team auch viel schwächere Stern-Bewegungen messen, als das mit Hubble möglich ist. Je mehr Sterne in eine Studie einbezogen werden können, desto genauer kann das Team die Dunkle Materie modellieren, die deren Bewegungen beeinflusst.
Untersuchung der Bewegungen von begleitenden Zwerggalaxien der Andromeda-Galaxie
Andromeda, die nächste große Nachbargalaxie unserer Milchstraße, hat ebenso wie die Milchstraße zahlreiche Zwerggalaxien die sie begleiten. Van der Marel und sein Team wollen untersuchen, wie sich vier dieser Zwerggalaxien um Andromeda bewegen, ob sie in einer flachen Ebene im Raum gruppiert sind oder ob sie sich in alle Richtungen um Andromeda bewegen.
Im Gegensatz zum ersten Beobachtungsprogramm versucht das Team hier nicht zu messen, wie sich die Sterne in den Zwerggalaxien bewegen. In dieser Studie versuchen sie herauszufinden, wie sich die Zwerggalaxien insgesamt um Andromeda bewegen. Dies wird Einblicke in jenen Prozess geben, bei dem sich große Galaxien durch Anreicherung und Akkumulation kleinerer Galaxien bilden, und wie genau dies funktioniert.
In den meisten Modellen wird nicht erwartet, dass jene Zwerggalaxien die größere Galaxien umgeben, in einer Ebene liegen. Normalerweise erwarten Forscher, dass Zwerggalaxien auf zufällige Weise um größere Galaxie fliegen. Langsam würden diese Zwergbegleiter Energie verlieren und von größeren Galaxien vereinnahmt, die dann noch größer werden würden.
Sowohl für die Milchstraße als auch für Andromeda deuten mehrere Studien darauf hin, dass mindestens ein Teil der Zwerggalaxien in einer Ebene liegt und möglicherweise sogar in dieser Ebene rotieren. Eine Möglichkeit, um festzustellen ob dies zutrifft besteht darin, ihre dreidimensionalen Bewegungen zu messen. Wenn sich die Bewegungen tatsächlich in der Ebene befinden, würde dies bedeuten, dass Zwerggalaxien auch in dieser Ebene bleiben. Aber wenn die Zwergbegleiter nur in einer Ebene zu sein scheinen, aber ihre Bewegungen in alle Richtungen verlaufen, deutet dies auf eine zufällige Ausrichtung und nicht auf eine dauerhafte Struktur hin.
Wenn sich Zwerggalaxien in einer Ebene ausrichten, kann dies mehrere Ursachen haben. Es könnte sein, dass ein Gutteil der Zwergbegleiter als einzelne Gruppe in die Umlaufbahn um Andromeda geriet und diese deshalb jetzt auch ähnliche dynamische Eigenschaften aufweisen.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass sich die Zwerggalaxien von Andromeda als sogenannte „Gezeiten-Zwerggalaxien“ gebildet haben. Diese gravitativ gebundenen Ansammlungen von Gas und Sternen entstehen bei Fusionen oder Wechselwirkungen zwischen großen Spiralgalaxien. Sie sind so massereich wie Zwerggalaxien, werden aber nicht von Dunkler Materie dominiert, wie dies nach Meinung der Forscher bei den meisten Zwerggalaxien der Fall ist. Es ist möglich, dass eine Fusion von zwei großen Galaxien die viel Gas enthalten, zur Entstehung von Zwerggalaxien führt, die in einer einzigen planaren Struktur enden. Dies wäre jedoch ungewöhnlich, da die Wissenschaftler nicht der Meinung sind, dass Gezeiten-Zwerggalaxien die vorherrschende Art von Zwerggalaxien im Universum sind. Zwerggalaxien bilden sich normalerweise in dunklen Materiewolken, die Halos genannt werden.
In beiden Fällen könnte die Entstehung von Galaxien komplizierter sein, als die Forscher gemeinhin glauben. Beides würde Wissenschaftlern bei der Entwicklung theoretischer Modelle zur Bildung von Galaxien zusätzliche Einschränkungen auferlegen.
Webbs extreme Genauigkeit und Präzision
Bei beiden Programmen wird das Team das James Webb-Teleskop in Bezug auf Genauigkeit und Präzision an seine Grenzen bringen. „Es ist eine sehr schwierige Situation, da wir im Grunde genommen sehr kleine Bewegungen messen wollen“, erklärte Co-Forscher Andrea Bellini vom STScI. „Die Genauigkeit, die wir erreichen wollen ist so, wie eine von der Erde aus durchgeführte Messung einer Bewegung von nur einigen Zentimetern pro Jahr auf der Oberfläche des Mondes.“
Das James Webb-Weltraumteleskop wird allerdings erst im Jahr 2021 in Betrieb genommen. Webb ist ein internationales Programm, das von der NASA mit ihren Partnern ESA und der Kanadischen Weltraumbehörde geleitet wird.