Venus könnte einst eine wasserreiche, erdähnliche Welt gewesen sein, deren heftiger Vulkanismus sie in den überhitzten Planeten verwandelte, den wir heute kennen. Sie wurde aber nicht über Nacht zu diesem alptraumhaften Planeten. Die Fingerabdrücke seiner allmählichen Veränderung könnten in einigen der ältesten Oberflächenmerkmalen vorhanden sein, die auf den ersten Blick im sichtbaren Bereich nicht zu erkennen sind.
Um zu verstehen, was vor Milliarden von Jahren auf unserer Nachbarwelt passiert ist, wandten sich Forscher den Tesserae zu, jenen komplexen geologischen Strukturen auf der Venus-Oberfläche, deren Ursprung ein Rätsel bleibt. Tesserae sind weite Ebenen, auf denen Steine durch geologische Aktivitäten gefaltet und gebrochen wurden.
„Auf der Erde tritt eine solche Verformung von Gesteinen normalerweise nicht auf der Oberfläche auf – vielmehr tritt eine solche Verformung typischerweise in der Tiefe, viele Kilometer unter der Oberfläche auf“, sagte Richard Ernst, ein Geologe an der kanadischen Carleton Universität.
Da die Tesserae der Venus auf und nicht unter der Oberfläche liegen, müssen sie ausgegraben worden sind, sagte Ernst. Oberirdische Gesteine könnten zerbrochen sein und die darunter liegenden Tesserae freigelegt haben. Alternativ könnte unterirdisches Gestein die Tesserae an die Oberfläche gehoben haben. In beiden Fällen hätte die Erosion der Tesserae eine bedeutende Rolle gespielt, und das ist es worauf Ernst und seine Kollegen hoffen. Er stellte seine Forschungsarbeiten im März auf der Lunar and Planetary Sciences Conference in The Woodlands, Texas, vor.
Laut Ernst sind die Tesserae vermutlich während einer kühleren Periode auf der Venus entstanden, als noch Wasser über die Oberfläche floss, welches die Steinformationen hätte erodieren können. Auf der Jagd nach Anzeichen von Erosion durch Wasser glaubt Ernst, dass es möglich sein könnte, die Erwärmung der Venus im Laufe ihres Lebens verfolgen zu können und damit die Theorie zu bestätigen, dass der Planet einst ein freundlicherer Ort war.
„Die Suche nach Erosionsmerkmalen in Tesserae-Terrains ist ein Schlüsseltest für einen extremen globalen Klimawandel auf der Venus“, sagte Ernst.
Eine wasserreiche Welt
Heute ist die Venus ein höllischer Ort mit Temperaturen, die einen Durchschnittswert von 462 Grad Celsius erreichen. Aber laut einem neuen Modell, war die Venus in der Vergangenheit möglicherweise ein erdähnlicher Planet, auf dessen Oberfläche Wasser geflossen ist. Was hat nun diese paradiesische Welt in einen glühend heißen Ofen verwandelt? Vermutlich extremer Vulkanismus.
Vulkane prägen die Oberfläche von Venus, und ein Großteil der Oberfläche ist jung. Frühere Studien haben Anzeichen von Strukturen ergeben, die vulkanischen Merkmalen auf der Erde ähneln, die als Large Igneous Provinces (LIPs), deutsch: magmatische Großprovinzen bezeichnet werden. Auf der Erde führen LIPs zu gewaltigen Vulkanexplosionen mit Volumina von 100.000 Kubikkilometern, die ausreichen, um die gesamten Vereinigten Staaten bis zu einer Tiefe von 10 Metern bis 8 Kilometer zu bedecken.
„LIPs auf der Erde stehen im Zusammenhang mit dem Zerfall von Superkontinenten, katastrophalen Klimaveränderungen einschließlich Massensterben und einigen bedeutenden Erzvorkommen“, sagte Ernst.
Vulkanausbrüche schleudern Gase wie Kohlendioxid in die Luft. Auf der Erde arbeitet die Plattentektonik als Teil des Kohlenstoffkreislaufs, um das Gas aus der Atmosphäre zu entfernen und in Gesteinen abzulagern. Die Venus hat jedoch keine Plattentektonik, so dass der Kohlendioxidgehalt weiter steigt und ein Treibhauseffekt ausgelöst wird, der den Planeten langsam erwärmt. Forscher haben bereits eine große Phase von Ausbrüchen im LIP-Stil identifizieren können, die vor etwa 700 Millionen Jahren stattgefunden hat und den Temperaturanstieg auslöste.
„Wir sollten davon ausgehen, dass der Beginn der bedeutenden Periode des Vulkanismus auch der Beginn der globalen Erwärmung gewesen sein könnte“, sagte Ernst.
Da der Vulkanismus zwischen 1 und 10 Millionen Jahre gedauert haben kann um die Atmosphäre so aufzuheizen, glaubt Ernst, dass die daraus resultierenden Auswirkungen auf das Klima in den Tesserae konserviert worden sein können. Er glaubt auch, dass Venus möglicherweise Strukturen beherbergen könnte, die auf eine wasserreiche Vergangenheit schließen lassen, wie zum Beispiel Flusseinschnitte, Kiesablagerungen, Schlammlawinen und Deltas.
Wenn diese Attribute existieren, warum hat sie dann noch niemand gesehen? Ernst glaubt, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass noch niemand nach ihnen gesucht hat. „Die Idee von Erosion auf der Venus war angesichts der heutigen extremen Temperaturen und des Mangels an freiem Wasser immer schwer vorstellbar“ sagte Ernst.
Mit dem Aufkommen einer neuen Modell-Vorhersage, wonach Venus einst kühler und wasserreicher war, werden Erosion-Merkmale leichter vorstellbar. Ernst vermutet, wenn man einmal ein Modell zur Hand hat, mit dem vorstellbar wäre, dass Wasser auf der Venus-Oberfläche geflossen ist, könnte dies dazu führen, dass mehr Forscher Erosion-Strukturen identifizieren.
Auf einer Oberfläche, die größtenteils durch Vulkanismus entstanden ist, können Tesserae die besten Verbindungen zu einer wasserreichen Welt der Vergangenheit bieten. Sie gehören zu den ältesten sichtbaren Oberflächenmerkmalen und werden von den Vulkanebenen nicht bedeckt.
Der nächste Schritt zum Erkennen von Anzeichen einer Erosion ist eine detailliertere Abbildung der Strukturen auf der Venus. Merkmale von Erosion würde die Vorstellung unterstützen, dass der Planet in jungen Jahren wasserreich war. Die Datierung dieser Merkmale würde den Wissenschaftlern einen Einblick geben, wie sich der Planet im Laufe der Zeit verändert hat.
„Wenn wir Erosion in den Tesserae feststellen könnten, würden wir im wesentlichen das jüngste Modell bestätigen das vorhersagt, dass die Venus in der Vergangenheit ein erdähnliches Klima hatte“, sagte Ernst.