Wie der Hosenbund eines Stubenhockers sich in der Mitte seines Lebens erweitert, erweitern sich auch die Umlaufbahnen in unserem Sonnensystem. Dies geschieht, weil die Gravitationskraft der Sonne allmählich schwächer wird, wenn unser Stern altert und an Masse verliert. Nun hat ein Team von NASA- und MIT-Wissenschaftlern diesen Massenverlust und andere Sonnenparameter indirekt gemessen, indem sie sich Veränderungen in der Umlaufbahn von Merkur angesehen haben.
Die neuen Werte verbessern frühere Vorhersagen, weil sie das Ausmaß der Unsicherheit reduzieren. Das ist besonders wichtig für die Rate des solaren Massenverlustes, weil es mit der Stabilität von G, der Gravitationskonstante, zusammenhängt. Obwohl G als eine feste Zahl betrachtet wird, ist es immer noch eine fundamentale Frage der Physik, ob sie wirklich konstant ist.
„Merkur ist das perfekte Testobjekt für solche Experimente, weil er so empfindlich auf die Gravitationswirkung und Aktivität der Sonne reagiert“, sagte Antonio Genova, Hauptautor der Studie, die in Nature Communications veröffentlicht wurde. Genova ist ein NASA-Forscher am Massachusetts Institute of Technology Goddard Space Flight Center in Greenbelt, Maryland.
Die Studie begann mit der Verbesserung der Merkur-Ephemeriden. Zu diesem Zweck nutzte das Team Radio-Tracking-Daten, die den Standort der Raumsonde MESSENGER während der Aktivität der Mission überwachten. Die Raumsonde machte drei Vorbeiflüge an Merkur in den Jahren 2008 und 2009 und umkreiste den Planeten von März 2011 bis April 2015. Die Wissenschaftler betrachteten die Daten, um subtile Veränderungen in der Bewegung von Merkur zu analysieren, um daraus mehr über die Sonne zu lernen und wie ihre physikalischen Parameter die Umlaufbahn des Planeten beeinflussen.
Seit Jahrhunderten haben Wissenschaftler die Bewegung des Merkur untersucht und dabei besonders auf sein Perihel geachtet. Beobachtungen haben vor langer Zeit gezeigt, dass sich das Perihel im Lauf der Zeit verschiebt. Obwohl die gravitativen Einflüsse der anderen Planeten für den Großteil der Periheldrehung verantwortlich sind erklärten sie nicht alles.
Der zweitgrößte Anteil kommt vom Verwerfen der Raumzeit um die Sonne, die ihren Grund in der eigenen starken Gravitation des Sterns hat, die durch Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie erklärt werden kann. Der Erfolg der allgemeinen Relativitätstheorie bei der Erklärung des restlichen Teils der Periheldrehung von Merkur half, die Wissenschaftler davon zu überzeugen, dass Einsteins Theorie richtig war.
Andere, viel kleinere Beiträge zur Periheldrehung des Merkur werden der inneren Struktur und Dynamik der Sonne zugeschrieben. Eine davon ist die Abplattung der Sonne, ein Maß dafür, wie stark sie sich in der Mitte wölbt, anstatt eine perfekte Kugel zu sein. Die Forscher erhielten eine verbesserte Schätzung der Abplattung, die mit anderen Studien übereinstimmt.
Die Forscher waren in der Lage, einige der Sonnenparameter von den relativistischen Effekten zu trennen, was in früheren Studien, die auf Ephemeriden-Daten angewiesen waren, nicht erreicht werden konnte. Das Team entwickelte eine neuartige Technik, die gleichzeitig die Umlaufbahnen von MESSENGER und Merkur schätzte und integrierte, was zu einer umfassenden Lösung führte, die Größen beinhaltet, die mit der Entwicklung des Sonneninneren und relativistischen Effekten in Einklang stehen.
„Wir beschäftigen uns schon lange mit diesen sehr wichtigen Fragen, sowohl im Rahmen der Grundlagenphysik als auch in der Sonnenwissenschaft mit einem planetarisch-wissenschaftlichen Ansatz“, sagte Goddard-Geophysiker Erwan Mazarico. „Wenn wir uns aus einer anderen Perspektive diesen Problemen nähern, können wir mehr Vertrauen in die Zahlen gewinnen und mehr über das Wechselspiel zwischen der Sonne und den Planeten erfahren.“
Die neue Schätzung der solaren Massenverlustrate ist eines der ersten Male, in denen dieser Wert aufgrund von Beobachtungen und nicht aufgrund theoretischer Berechnungen erreicht wurde.
Zuvor sagten Wissenschaftler aufgrund theoretischer Studien einen Verlust von einem Zehntel Prozent der Sonnenmasse über einen Zeitraum von rund 10 Milliarden Jahren voraus; das wäre genug, um die Gravitationskraft des Sterns zu reduzieren und die Umlaufbahnen der Planeten um ungefähr 1,5 Zentimetern pro Jahr und pro Astronomische Einheit (eine AE ist Entfernung Erde-Sonne) zu erweitern.
Der neue Wert ist etwas niedriger als frühere Vorhersagen, beinhaltet aber weniger Unsicherheiten. Dies ermöglichte es dem Team, die Stabilität von G um den Faktor 10 zu verbessern, verglichen mit Werten, die aus Studien von der Bewegung des Mondes abgeleitet wurden.
„Die Studie zeigt, wie Messungen der Veränderungen der Umlaufbahnen von Planeten im gesamten Sonnensystem die Möglichkeit zukünftiger Entdeckungen über die Natur der Sonne und der Planeten und auch über die Grundfunktionen des Universums eröffnen könnten“, sagte Co-Autorin Maria Zuber, Vizepräsidentin für Forschung am MIT.