Untersuchungen an einem kleinen Kieselstein, der im Südwesten Ägyptens gefunden wurde, werfen wichtige Fragen zu einer weit verbreiteten Ansicht über die primitive präsolare Staubwolke auf, aus der unsere Sonne, unsere Erde und die anderen Planeten geformt wurden. Die Forscher fanden exotische Mikromineralverbindungen in dem „Hypatia“ genannten Stein, von denen nicht bekannt ist, dass sie auf der Erde, anderswo in unserem Sonnensystem oder in bekannten Meteoriten oder Kometen vorkommen.
Im Jahr 2013 gaben Forscher bekannt, dass ein Kieselstein, der im Südwesten Ägyptens gefunden wurde, definitiv nicht von der Erde stammt. 2015 hatten andere Forscherteams gemeldet, dass der „Hypatia“ Stein – basierend auf Edelgas- und Kernreaktionsanalysen – nicht zu bekannten Meteoriten oder Kometen gehört. (Der Stein wurde nach Hypatia von Alexandria benannt, der ersten westlichen Mathematikerin, Astronomin und Philosophin.)
Wenn der Kiesel jedoch nicht von der Erde stammte, woher stammte er dann und könnten die darin enthaltenen Mineralien Hinweise darauf liefern, woher er kam? Mikromineralanalysen des Kiesels durch das ursprüngliche Forschungsteam von der Johannesburger Universität haben nun verwirrende Antworten geliefert, die sich von den konventionellen Ansichten über das Material, aus dem unser Sonnensystem gebildet wurde, unterscheiden.
Mineralische Struktur
Die innere Struktur des Hypatia-Kieselsteines ist ein wenig wie ein Früchtekuchen, der aus einem Regal in etwas Mehl fiel und beim Aufprall zerbrochen ist, sagte Professor Jan Kramers, leitender Forscher der Studie, die am 28. Dezember 2017 in Geochimica et Cosmochimica Acte veröffentlicht wurde.
„Wir können uns den schlecht gemischten Teig eines Früchtekuchens so vorstellen, was wir in der Geologie zwei gemischte „Matrizen“ nennen. Die kandierten Kirschen und Nüsse im Kuchen stellen die Mineralkörner dar, die in den Hypatia-Einschlüssen vorkommen. Und der Mehlstaub, der aus den Rissen des gefallenen Kuchens fällt, stellt die „sekundären Materialien“ dar und die stammen von der Erde“, sagte Kramers.
Der extraterrestrische Originalstein, der auf die Erde fiel, muss einen Durchmesser von mindestens einigen Metern gehabt haben, aber der ist in kleine Fragmente zerfallen, von denen der Hypatia-Stein einer ist.
Sonderbare Matrix
Die Mineral-Matrix von Hypatia (dargestellt durch den Früchtekuchenteig), sieht auf Anhieb nicht so aus wie die bekannten Meteoriten, die hin und wieder vom Weltraum auf die Erde fallen.
„Wenn es möglich wäre, den ganzen Planeten Erde in einem riesigen Mörser mit einem Stößel zu Staub zu zermahlen, würden wir Staub mit im Durchschnitt ähnlicher chemischer Zusammensetzung bekommen wie sie chondritische Meteoriten haben“ sagte Kramers. "In chondritischen Meteoriten erwarten wir eine geringe Menge an Kohlenstoff {C} und eine große Menge an Silizium (Si). Aber die Matrix von Hypatia hat eine enorme Menge an Kohlenstoff und eine ungewöhnlich kleine Menge an Silizium."
„Noch ungewöhnlicher ist die Tatsache, dass die Matrix eine große Menge sehr spezifischer Kohlenstoffverbindungen enthält, sogenannte polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH), eine Hauptkomponente des interstellarem Staubs, der schon vor der Entstehung unseres Sonnensystems existierte. Interstellarer Staub findet sich auch in Kometen und Meteoriten, die in ihrer langen Geschichte nicht aufgeheizt wurden“, fügte Kramers hinzu.
Ferner wurden die meisten (aber nicht alle) der PAH in der Hypathia-Matrix in Diamanten kleiner als ein Mikrometer umgewandelt, von denen angenommen wird, dass sie im Schock des Aufpralls auf die Erdatmosphäre oder der Erdoberfläche gebildet wurden. Diese Diamanten machten Hypatia resistent gegen Verwitterung, so dass sie seit ihrer Ankunft auf der Erde für die Analyse erhalten geblieben ist.
Noch seltsamere Körner, die nie zuvor gefunden wurden
Als Forscher Georgy Belyanin die Mineralkörner in den Einschlüssen von Hypatia analysierte, zeigte sich überraschenderweise einen Anzahl von chemischen Elementen.
„Das Aluminium kommt in rein metallischer Form vor, nicht in einer chemischen Verbindung mit anderen Elementen. Zum Vergleich: Gold kommt in Nuggets vor, aber Aluminium niemals. Dieses Vorkommen ist extrem selten auf der Erde und auch im Rest unseres Sonnensystems, zumindest soweit es der Wissenschaft bekannt ist“, sagte Belyanin.
„Wir fanden auch – in höchst unerwarteter Form - Silberiodid-Phosphid- und Miossanit-Körner (Siliciumcarbid). Es sind dies die ersten nachweisbaren Körner dieser Art, ohne dass das sie umgebende Gestein zuerst mit Säure aufgelöst werden musste”, sagte Belyanin. “Es gibt auch Körner einer Verbindung, die hauptsächlich aus Nickel und Phosphor bestehen mit sehr wenig Eisen; eine Mineralzusammensetzung, die vorher auf der Erde oder in Meteoriten noch nie beobachtet wurde”, fügte er hinzu.
Dr. Marco Andreoli, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der School of Geoscience an der Witwatersrand Universität und Mitglied des Hypatia-Forschungsteams, sagte: “Als wir erstmals entdeckten, dass der Hypatia-Stein extraterrestrischen Ursprungs ist, war es eine Sensation, aber diese neuesten Ergebnisse eröffnen noch größere Fragen über seine Herkunft.
Einzigartige Mineralien in unserem Sonnensystem
Zusammen genommen deutet dieser uralte nicht erwärmte PAH-Kohlenstoff sowie die Phosphide, das metallische Aluminium und der Moissanit darauf hin, dass Hypatia eine Ansammlung von unveränderten präsolaren Materialien ist. Das heißt, dass es Materie ist, die schon vor der Entstehung unseres Sonnensystems im Weltraum existierte.
Das präsolare Konzept wird unterstützt durch die seltsame Zusammensetzung der Nickel-Phosphor-Eisen-Körner in den Hypatia-Einschlüssen. Diese drei chemischen Elemente sind interessant, weil sie zur Untergruppe der chemischen Elemente gehören, die schwerer als Kohlenstoff und Stickstoff sind und aus denen sich Großteils alle Gesteinsplaneten bilden.
„In den Körnern innerhalb von Hypatia sind die Verhältnisse dieser drei Elemente zueinander komplett verschieden von jenen, die für den Planeten Erde bestimmt oder in den bekannten Typen von Meteoriten gemessen wurden. Als solche sind diese Einschlüsse innerhalb unseres Sonnensystems einzigartig“, fügte Belyanin hinzu.
Die Forscher meinen, dass die Nickel-Phosphor-Eisen-Körner vor der Sonne gebildet wurden, weil sie sich innerhalb der Matrix befinden und wahrscheinlich nicht durch Schock oder Kollision mit der Erdatmosphäre modifiziert wurden und auch weil ihre Zusammensetzung so fremd ist in unserem Sonnensystem.
Die Masse von Hypatia, die Matrix, ist wahrscheinlich - laut Meinung der Forscher – nicht vor unserem Sonnensystem entstanden, weil man eine dichte Staubwolke wie den präsolaren Nebel braucht, um große Körper zu koagulieren (zusammen zu klumpen).
Eine andere Art von Staub
Im allgemeinen sagt die Wissenschaft, dass die Planeten unseres Sonnensystems letztendlich aus einer riesigen uralten Wolke aus interstellarem Staub entstanden sind. Im ersten Teil des Prozesses koagulieren interstellare Staubteilchen (allerdings nicht immer, sie können auch voneinander abprallen und ein Anwachsen auf Millimeter-Größe verhindern). Die Wissenschaft geht zudem davon aus, dass der präsolare Nebel homogen war, das heißt, überall war die gleich Art von Staub.
Aber Hypatias Chemie stimmt mit dieser Ansicht nicht überein. „Im Gegensatz zu chondritischen Meteoriten (und Planeten wie Erde, Mars und Venus), bei denen Silikate dominieren, gibt es keine silikatischen Mineralien in der Matrix von Hypatia. Dann sind da die exotischen Mineral-Einschlüsse. Wenn Hypatia selbst nicht präsolar ist, weisen beide Merkmale darauf hin, dass der solare Urnebel nicht überall die gleiche Art von Staub enthielt – was der allgemeinen akzeptierten Sichtweise über die Entstehung unseres Sonnensystems widerspricht, sagte Kramers.
„Was wir wissen ist, dass Hypatia in einer kalten Umgebung gebildet wurde, vermutlich bei Temperaturen unter der von flüssigem Stickstoff auf der Erde (-196 Grad Celsius). In unserem Sonnensystem wäre Hypatia viel weiter draußen gewesen als im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, von wo die meisten Meteoriten kommen. Kometen kommen hauptsächlich aus dem Kuipergürtel, jenseits der Umlaufbahn Neptuns und einige kommen von noch weiter draußen, aus der Oortschen Wolke. Wir wissen sehr wenig über die chemische Zusammensetzung von den Objekten da draußen, also werden wir weiter der Frage nachgehen, woher Hypatia kommt“, sagte Kramers.
Der kleine Kieselstein aus dem libyschen Wüstenglasfeld im Südwesten Ägyptens ist ein verlockendes Stück für ein extraterrestrisches Puzzle, das immer komplexer wird.
Die Forschung wurde vom Forschungsrat der Universität Johannesburg über das PPM Research Center finanziert. Die Forscher bedankten sich bei Aly Barakat, Mario di Martino und Romano Serra für den Zugang zum Hypatia-Probenmaterial; und bei Michael Wiedenbeck und seinen Mitarbeitern am Geoforschungszentrum Potsdam für ihre Zusammenarbeit.