Nahe Vorübergänge von Sternen sind doppelt so häufig als bisher angenommen wurde
Eine neue Analyse zeigt, dass alle paar Millionen Jahre fast 100 Sterne knapp an unserem Sonnensystem vorbei sausen – ein Effekt, der regelmäßig kosmische Stürme auslöst und Kometen Richtung Erde schleudert.
In den nächsten 1,3 Millionen Jahren wird ein orangeroter Stern erscheinen und den Nachthimmel dramatisch aufhellen. Obwohl er gegenwärtig für das menschliche Auge unsichtbar ist, wird er schließlich doppelt so hell wie Sirius werden und mit Mars und Jupiter um die Helligkeit konkurrieren. Er wird sich auch – astronomisch gesehen – schnell über den Himmel bewegen. Mit 36 Bogensekunden pro Jahr wird er sich in etwa 50 Jahren um mehr als die Vollmond-Breite weiter bewegen. Das ist so schnell, dass auch begeisterte Amateur-Beobachter seine Bewegung im Laufe der Jahrzehnte erkennen können.
Aber der Stern wird mehr sein als nur ein Objekt für Amateur-Beobachter – es wird ein Omen dafür sein, dass es Schwierigkeiten geben könnte, die sich da am Himmel zusammenbrauen. Astronomen vermuten, dass dieser Stern, besser bekannt als Gliese 710, so nahe kommen wird, dass er unser Sonnensystem innerhalb der Oortschen Wolke passiert – jene riesige, weit entfernte kugelförmige Zone, die von Milliarden von Kometen bevölkert wird. Eine solch enge Begegnung wird diese Kometen aus ihren friedlichen Umlaufbahnen werfen und sie möglicherweise Richtung inneres Sonnensystem schleudern. Und dies wäre nicht das erst Mal.
Gliese 710 ist nur einer von einer Reihe von Sternen, die Billard mit dem äußeren Sonnensystem spielen. Nun hat Coryn Bailer-Jones Daten vom Satelliten Gaia verwendet, um die Wege von 300.000 nahe gelegenen Sternen zwischen 5 Millionen Jahren in der Vergangenheit und 5 Millionen Jahre in der Zukunft zu verfolgen. Seine Karte enger Begegnungen von Vergangenheit und Zukunft wurde im Journal Astronomy & Astrophysics veröffentlicht. Alles in allem sah er, dass alle Millionen Jahre etwa 87 Sterne der Sonne auf 6,5 Lichtjahre nahe kommen. Das bedeutet, dass der „stellare Verkehr“ etwa doppelt so hoch ist, als frühere Schätzungen vermuten ließen.
Zukunftsschock
Vielleicht ist dieses faszinierende Ergebnis – zumindest nach Paul Weissman (Planetary Science Institute), der nicht an der Studie beteiligt war – das oben erwähnte Omen namens Gliese 710.
Joan García-Sánchez (JPL) und seine Kollegen haben diesen Stern erstmals im Jahr 1999 ins Visier genommen. Auf der Grundlage von Daten des Hipparcos-Satelliten, dem Vorgänger der Gaia-Mission (beide ESA) schätzten sie, dass Gliese 710 innerhalb von 80.000 astronomischen Einheiten die Sonne passieren würde. Das ist nur knapp jenseits der äußeren Oortschen Wolke. Aber die jüngsten Schätzungen kommen auf nur 16.000 astronomische Einheiten, was im Bereich der inneren Oortschen Wolke wäre. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Obwohl es schwer ist vorherzusagen was das für das innere Sonnensystem bedeuten könnte, meinte Weissman, dass dies wahrscheinlich einen wesentlich umfangreicheren Kometen-Schauer verursachen würde. Die jüngsten Schätzungen deuten darauf hin, dass die Zahl der Kometen, die in das innere Sonnensystem eindringen, um den Faktor 100 zunehmen wird, sagte Weissman. Mit so vielen Kometen, die zwischen den Planeten und ihren jeweiligen Monden reisen ist es wahrscheinlich, dass es 90 % unbeschadet durch das innere Sonnensystem schaffen, während 10 % dieses Glück nicht haben werden: Sie werden mit Planetenkörpern kollidieren.
Und das werden keine gewöhnlichen Kollisionen sein. Kometen sind deutlich größer als Asteroiden (zumindest jene, welche die meisten Einschläge verursachen) und sind daher viel gefährlicher. Weissmann berechnete einmal die Auswirkungen, die Komet Hale-Bopp bei einem Einschlag auf der Erde verursachen würde. Seine Wirkung wäre zehnmal so stark wie jener Einschlag, der zum Untergang der Dinosaurier führte.
Zum Glück ist Gliese 710 nicht extrem massereich. In der Tat hat er nur etwa 60% Sonnenmasse. Unglücklicherweise bewegt er sich relativ langsam, sagt Mamajek, daher ist die Wirkung des Sterns auf die Oortsche Wolke schwer berechenbar. Er machte eine schnelle Überschlagsrechnung und stellte fest, dass seine Masse an der Grenze zwischen einem Stern ist, der eine vernachlässigbare Wirkung hat und einem, der die innere Oortsche-Wolke genug durcheinander bringen kann, um Kometen ins innere Sonnensystem zu schleudern.
Ortung weiterer „Schuldiger“
Bailer-Jones fand keine Sterne, die näher als Gliese 710 kommen, was ihn ein bisschen enttäuschte. „Da ist immer die Hoffnung, etwas Unerwartetes und Überraschendes zu finden“, sagte er. „Aber ich bin voller Hoffnung, dass wir in der Zukunft noch Glück haben werden. Es gibt nähere Begegnungen, da bin ich mir sicher“, sagte er. „Es ist nur so, dass Gaia die schwächsten Sterne noch nicht lokalisiert hat.“
Es ist geplant, dass im April 2018 die nächsten Gaia-Daten veröffentlicht werden, so dass Bailer-Jones mehr Sterne zur Überprüfung zur Verfügung stehen werden. Er vermutet, dass mit den zusätzlichen Daten es möglich sein wird, nahe Begegnungen für 25 Millionen Jahre in beide Richtungen vorhersagen zu können. (Im Vergleich zu den Fünf-Millionen-Jahres-Schätzungen, die er mit dieser Studie gemacht hat).
Das reicht zurück bis etwa 40 Millionen Jahre nach dem Einschlag, der zum Untergang der Dinosaurier führte. Das reicht aber leider nicht weit genug in die Vergangenheit zurück, um den Schuldigen für dieses Aussterben zu lokalisieren. Das wird für die absehbare Zukunft ein Rätsel bleiben. Angenommen, ein Stern hat den Impaktor aus der Oortschen Wolke gedrängt, dieser Stern hätte definitiv den „Tatort“ längst verlassen – er wäre schon auf der anderen Seite der Galaxis.
Aber Bailer-Jones denkt, dass es möglich sein könnte, eine Korrelation zwischen einem nahe gelegenen Runaway-Star und einem Krater aus der jüngeren Geschichte zu finden. Natürlich wissen wir sehr wenig über die Oortsche Wolke, sodass es nur eine Korrelation bliebe. Aber es bedeutet, dass man eines Tages in der Lage sein könnte, auf einen Stern zu verweisen, der sich schnell von unserem Sonnensystem entfernt, und von dem man sagen könnte, dass er möglicherweise jener Stern ist, der Schuld daran ist, dass ein Komet ins innere Sonnensystem wanderte und auf unseren Planeten stürzte.
8. September 2017/SP
Verein Kuffner-Sternwarte