NASA-Wissenschaftler finden „unmögliche“ Wolke auf Titan – schon wieder
Die rätselhafte Erscheinung einer Eiswolke, die scheinbar aus dem Nichts entstand, legen die NASA-Forscher dahingehend aus, dass ein anderer Prozess dafür verantwortlich sein muss, als bisher angenommen wurde. Möglicherweise entstand sie ähnlich wie jene Wolken, die über den Polen der Erde gesehen werden.
Die Wolke befindet sich in Titans Stratosphäre und besteht aus einer Verbindung von Kohlenstoff und Stickstoff, bekannt als Dicyanoacetylene mit der chemischen Formel C4 N2 und ist ein Bestandteil jenes chemischen Cocktails, der für die Farben von des Mondes trüber, bräunlich-oranger Atmosphäre verantwortlich ist.
Vor Jahrzehnten entdeckte das Infrarot-Instrument auf der Raumsonde Voyager 1 eine Eiswolke wie diese auf Titan. Was die Wissenschaftler seitdem verwirrt ist dies: Sie entdeckten weniger als ein Prozent des Dicyanoacetylene-Gases das benötigt, damit eine solche Wolke kondensieren kann.
Jüngste Beobachtungen der Cassini-Mission ergab ein ähnliches Ergebnis. Mit Cassinis Composite-Infrared-Spectrometer (CIRS) – das die spektralen Fingerabdrücke der einzelnen Chemikalien in dem atmosphärischen Gebräu identifizieren kann – fanden Forscher heraus, dass eine große, hochgelegenen Wolke aus den gleichen gefrorenen Chemikalien besteht. Doch so wie auch Voyager1 heraus gefunden hat; wenn es zur Dampfbildung dieser Chemikalien kommt, berichtet das Instrument CIRS, dass Titans Stratosphäre so trocken wie eine Wüste ist.
„Das Aussehen dieser Eiswolke geht gegen alles, was man über die Bildung von Wolken auf Titan weiß“, sagte Carrie Anderson, ein CIRS Co-Investigator am Goddard Space Flight Center in Greenbelt, Maryland und leitender Autor dieser Studie.
Der typische Prozess zur Entstehung von Wolken beinhaltet Kondensation. Auf der Erde sind wir mit dem Kreislauf von Verdunstung und Kondensation von Wasser vertraut. Die gleiche Art von Zyklus findet in Titans Troposphäre statt – das ist die Wetter bildende Schicht in Titans Atmosphäre – aber mit Methan statt mit Wasser.
Ein anderer Kondensationsprozess findet in der Stratosphäre statt, dem Bereich oberhalb der Troposphäre, und zwar dann, wenn auf Titans Nord- bzw. Südpol Winter ist. In diesem Fall kondensieren die Wolkenschichten von der globalen Zirkulation warmer Gase und zwingt sie nach unten. Die Gase kondensieren, wenn sie nach unten durch die kühlen Schichten der polaren Stratosphäre sinken.
So oder so bildet sich eine Wolke, wenn Lufttemperatur und Druck günstig für den Dampf sind, um zu Eis zu kondensieren. Der Dampf und das Eis erreichen ein Gleichgewicht, das von der Lufttemperatur und dem Druck bestimmt wird. Wegen dieses Gleichgewichts können die Wissenschaftler die Menge an Dampf berechnen, wenn Eis vorhanden ist.
„Für kondensierende Wolken ist dieses Gleichgewicht zwingend vorgeschrieben, so wie das Gesetz der Schwerkraft“, sagte Robert Samuelson, ein emeritierter Wissenschaftler am Goddard Space Flight Center und Co-Autor des Artikels.
Aber diese Berechnungen sind nicht für eine Wolke aus Dicyanoacetylene gemacht. Die Wissenschaftler haben festgestellt, dass sie mindestens 100-mal mehr Dampf benötigen würde, um eine solche Eiswolke zu bilden, wie sie von Cassinis CIRS-Instrument beobachtet wurde.
Eine Erklärung wäre, dass früher mehr Dampf vorhanden gewesen sein könnte, aber das Instrument von Voyager1 nicht empfindlich genug für diesen kritischen Wellenlängenbereich war, um dies zu erkennen. Aber wenn CIRS diesen Dampf auch nicht findet, schlagen Anderson und Kollegen eine ganz andere Erklärung vor: Anstelle dass sich die Wolke durch Kondensation bildet, denken sie, dass die C4 N2 Eisbildung wegen Reaktionen der Partikel auf andere Art und Weise stattfindet. Die Forscher nennen das „Festkörperchemie“, weil sie die Reaktionen des Eises im festen Aggregatzustand mit einbeziehen.
Der erste Schritt in dem vorgeschlagenen Verfahren ist die Bildung von Eispartikeln aus der verwandten chemischen Verbindung Cyanacetylen (HC3N) durchzuführen. Da sich diese winzigen Eispartikeln nach unten durch die Stratosphäre des Titan bewegen, werden sie vom Cyanwasserstoff (HCN) beschichtet. In diesem Stadium haben die Eispartikel einen Kern und eine Schale aus zwei verschiedenen Chemikalien. Ein Photon des ultraviolettem Licht durchbohrt gelegentlich die gefrorene Schale und löste eine Reihe von chemischen Reaktionen aus. Diese Reaktionen können entweder im Kern oder in der Hülle beginnen. Beide Wege können Dicyanoacetylene-Eis und Wasserstoff als Produkte ergeben.
Die Forscher haben die Idee der Festkörperchemie aus der Entstehung von Wolken, die am Ozonabbau hoch über der Erde an den Polen beteiligt sind. Obwohl die Stratosphäre der Erde wenig Feuchtigkeit enthält, können sich zarte Wolkenfetzen (auch polare Stratosphäre-Wolken genannt) unter den richtigen Bedingungen bilden. Chlorhaltige Chemikalien auf den Eiskristallen stratosphärischer Wolken können die Atmosphäre verunreinigen und den Ozon zerstörende Chlormoleküle freisetzen.
„Es ist höchst interessant, dass sowohl auf Titan als auch auf der Erde ähnliche Prozesse von Festkörperchemie stattfinden können“, sagte Anderson.
Die Forscher glauben, dass auf Titan die Reaktionen in den Eispartikeln deswegen auftreten, weil sich diese von der Atmosphäre abkapseln. In diesem Fall würde das Dicyanoacetylen-Eis keinen direkten Kontakt mit der Atmosphäre haben, was erklären würde, warum das Eis und die Formen des Dampfes nicht im erwarteten Gleichgewicht sind.
“Die Zusammensetzung der polaren Stratosphäre von Titan und Erde wird man kaum unterscheiden können”, sagte Michael Flasar, CIRS Projektleiter am Goddard Space Flight Center. “Es ist erstaunlich zu sehen, wie gut die zugrunde liegend Physik der beiden Atmosphären zu einer analogen Wolken-Chemie geführt hat.”
Die Ergebnisse werden in der Zeitschrift Geophysical Research Letters veröffentlicht.
25. September 2016/SP
Verein Kuffner-Sternwarte