Stammen die Marsmonde aus dem Asteroidengürtel oder entstanden sie durch Kollision?
Bei einigen Planeten unseres Sonnensystems wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Monde entdeckt, aber der Mars blieb – so wie Merkur und Venus - in den Vorstellungen der Menschen lange ein Einzelgänger. Es war in den späten 1800er Jahren, als Asaph Hall nach Monden beim Mars Ausschau hielt und zunächst scheiterte, bis er auf Drängen seiner Gattin die Suche wieder aufnahm und diesmal Glück hatte. Asaph Hall konnte im August 1877 einen ersten Blick auf die beiden winzigen Monde des Roten Planeten werfen, denen er die Namen Phobos und Deimos gab.
Ein Jahrhundert später haben Aufnahmen von Raumsonden gezeigt, dass die Monde eine dunkle, kraternarbige Oberfläche besitzen und eine kartoffelförmige Gestalt haben. Dies alles deutete darauf hin, dass es Objekte sind, die aus dem nahe gelegenen Asteroidengürtel stammen. Nun haben Planetenforscher Computersimulationen durchgeführt, deren Ergebnis eine kontroverse alternative Idee unterstützt: Dass auf dem Mars einst ein großes Objekt einschlug und sich aus dem weggeschleuderten Material dann die Marsmonde bildeten.
Obwohl es die Impakt-Hypothese schon seit Jahrzehnten gibt, gilt sie als umstritten. „Es war sehr unerfreulich, wie negativ die Menschen reagierten“ sagte der Geologe Robert Craddock vom National Air and Space Museum der Smithonian Institution in Washington, DC, als er die Idee auf einer Konferenz 1994 vorstellte. „Die allgemeine Stimmung machte es mir unmöglich dort weiter zu arbeiten.“ Craddock unterbreitete seine wissenschaftliche Hypothese auch mehreren Fachzeitschriften, darunter Nature und Science, aber alle wiesen diese ab. Jahre später versuchte Craddock seine Arbeit wieder auferstehen zu lassen und veröffentlichte sie im Jahr 2011, nachdem sich einige Wissenschaftler für sein Werk interessierten und einige seiner einstigen Kritiker im Ruhestand waren oder nicht mehr lebten.
Die einst abgelehnte Arbeit von Craddock hat nun zwei Teams von Planetenforschern dazu inspiriert zu modellieren was passieren hätte können, wenn ein Objekt mit etwa zehnfacher Ceres-Masse in den alten Mars einschlug. Objekte dieser Größe gab es mehrere im frühen Sonnensystem.
Drei Dinge wurden dabei berücksichtigt. Erstens veränderte sich die Rotation des Planeten. Sie verkürzte sich auf 24 Stunden und 37 Minuten, der derzeitigen Länge eines Marstages. Ohne dieses Ereignis würde sich der Planet viel langsamer drehen. Zweitens erzeugte dieser Impakt das größte Einschlagsbecken auf dem Roten Planeten. Und drittens wurde durch den Impakt Material weggeschleudert, das sich in einer Scheibe um den Planeten formierte, aus denen sich in der Folge die Monde bildeten.
Die Planetenforscher Robin Canup und Julien Salmon vom Southwest Research Institut in Boulder/Col präsentierten ihre Simulationen auf einer Konferenz letztes Jahr. Und Planetenforscher Robert Citron von der University of California, Berkely, und Hidenori Genda und Shigeru Ida vom Tokyo Institute of Technology veröffentlichten ihre eigenen Berechnungen in der Mai-Ausgabe von Ikarus. Obwohl die beiden Teams nicht bewusst miteinander arbeiteten, kamen sie zur gleichen Schlussfolgerung: Ein großer Impakt könnte in der Tat zur Entstehung der beiden Monde geführt haben. Insbesondere da die Staubscheibe die durch den Impakt entstand kompakt und nahe an der Marsoberfläche war. Dies ist wichtig, weil beide Monde viel näher am Mars sind als unser Mond an der Erde.
Beide Teams finden auch, dass die Staubscheibe aus der die Monde entstanden sind, viel massiver war als Craddock geschätzt hatte. Robin Canup vermutet ferner, dass aus der Staubscheibe auch ein dritter Mond entstanden ist, der viel größer war als die beiden die wir jetzt kennen und der einen Durchmesser von etwa 300 Kilometern hatte.
Was geschah mit diesem Mond? Canup vermutet, er stürzte zurück auf den Mars. Aufgrund der gravitativen Interaktion zwischen einem Mond und seinem Planeten bewegt sich jeder Mond allmählich entweder weiter weg vom Planeten oder nähert sich ihm wieder an. Wenn sich ein Mond langsamer dreht als sein Planet - Deimos und unser Mond tun dies – dann bewegt er sich nach aussen. Aber wenn ein Mond sich schneller dreht als sein Planet – Phobos tut dies – dann bewegt er sich nach innen und des Planeten Schwerkraft reißt ihn allmählich in Stücke, welche dann auf der Oberfläche aufschlagen. Dies ist das Schicksal, das Phobos in etwa 40 Millionen Jahren ereilen wird. Canup denkt, dass das gleiche Schicksal einst den großen Mond ereilte.
Die Forscher sind der Meinung, dass sie auf dem absolut richtigen Weg sind, da das Szenario in der Simulation tatsächlich funktioniert hat. Wenn die Monde eingefangene Asteroiden wären, sollten sie elliptische Bahnen weit weg vom Planeten haben, aber tatsächlich haben sie Kreisbahnen in der Nähe des Planeten, was zu erwarten ist, wenn sie sich durch einen Impakt geformt haben.
Es gibt aber auch Experten, die skeptisch bleiben. Scott Murchie, ein Planetenforscher an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, der die Marsmonde seit mehr als einem Vierteljahrhundert studiert, sagte zwar dass die neue Arbeit wertvoll ist, fügte aber hinzu:“Ich denke, dass, abgesehen von ihren Umlaufbahnen, ihrer Dichte und den spektralen Eigenschaften, die Interpretation, dass sie eingefangene Asteroiden sind, am besten mit den beobachtbaren Eigenschaften übereinstimmt.“ Die neuen Simulationen befassen sich nicht mit der Zusammensetzung der Monde, nur mit ihren Umlaufbahnen und ihrer Größe.
Alle Wissenschaftler sind sich aber darüber einig, wie diese Kontroverse zu lösen wäre: Es müsste nur eine Raumsonde zu den Monden entsendet werden. Wenn die Monde aus einer Kollision hervorgegangen sind, sollte Wassereis und Wasserstoff verdampft worden sein, so dass auf den Satelliten davon nichts zu finden ist. Wenn sie aber erhebliche Mengen an internem Eis haben, wäre dies das stärkste Argument gegen die Impakttheorie.
Russland startete am 8. November 2011 eine Sonde zum Marsmond Phobos mit Namen Phobos-Grunt. Die Sonde sollte auf dem Mond landen, Proben entnehmen und zur Erde bringen. Leider konnte die Sonde den Erdorbit nicht verlassen, trat am 15. November 2012 wieder in die Erdatmosphäre ein und verglühte über dem Ostpazifik.
Und im Rahmen des Discvovery-Programms der NASA gibt es die vorgeschlagene Mission PANDORA, mit einem Phoboslander namens MERLIN an Bord. Vielleicht wird diese Mission realisiert und bringt endgültige Klarheit über die Herkunft der Marsmonde.
24. Mai 2015/SP
Verein Kuffner-Sternwarte