Der Tunguska-Impakt ist eines der großen Mysterien der modernen Geschichte. Die grundlegenden Fakten sind bekannt: Am 30. Juni 1908 ereignete sich in einer abgelegenen Region Sibiriens in der Nähe des Flusses Steinige Tunguska (Podkamennaya Tunguska), eine gewaltige Explosion.
Die Explosion war 1000-mal stärker als die Hiroshima-Bombe und wurde auf der Richter-Skala mit 5 registriert. Auf einer Fläche von 2000 km² wurden etwa 80 Millionen Bäume umgeknickt. Die Region ist so entlegen, dass Historiker nur über wenige Augenzeugenberichte und einen Todesfall Kenntnis haben.
Aber der geheimnisvollste Aspekt dieser Explosion ist, dass sie keinen Krater verursachte. Wissenschaftler haben über diesen Umstand lange diskutiert.
Die allgemein akzeptierte Theorie ist, dass die Explosion die Folge eines in der Atmosphäre explodierenden Meteoriten oder Kometen war. Eine Explosion dieser Größenordnung muss nicht unbedingt einen Krater verursachen. Ein solches Ereignis hat aber mit ziemlicher Sicherheit dazu geführt, dass in dieser Region zahlreiche Fragmente des Mutterkörpers niedergeprasselt sein müssten. Wofür es aber bis heute keine überzeugenden Beweise gegeben hat.
In den 1930iger Jahren kehrte eine Expedition, die unter der Leitung des russischen Mineralogen Leonid Kulik stand, aus dieser Region mit einer Probe aus geschmolzenem Gestein, welches glasige Blasen enthielt, zurück. Für Kulik waren dies Beweise eines Impakt-Ereignisses. Aber die Probe ging irgendwie verloren und konnte daher nie einer modernen Analyse unterzogen werden und so gibt es keine aktuellen Hinweise auf einen Einschlag durch einen Meteoriten.
Das könnte sich jetzt ändern. Denn Andrei Zlobin von der Russischen Akademie der Wissenschaften meint, drei Steine in der Tunguska-Region gefunden zu haben, welche die Charakteristika von Meteoriten hätten. Wenn Zlobin recht hat, könnten diese Steine endlich helfen das Rätsel zu lösen, von welcher Art dieses Objekt war, das damals über Sibirien explodierte.
Zlobins Geschichte ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Die sogenannte Suslov Depression ist für Meteoriten-Forscher von größtem Interesse, da sie direkt unterhalb der Stelle des Luftstoßes liegt und damit jener Ort ist, wo am ehesten Meteoriten-Trümmer niedergefallen sein könnten.
Zlobin hat auch in den Torfmooren gegraben weil er hoffte, hier leicht Beweise für eine Explosion finden zu können. Er grub mehr als zehn Löcher um Meteoriten-Fragmente zu finden; leider ohne Erfolg.
Allerdings hatte er mehr Glück beim erforschen des Khushmo-Flussbettes, wo sich vermutlich Steine über einen langen Zeitraum hinweg ansammelten. Er nahm rund 100 interessante Exemplare und kehrte mit ihnen nach Moskau zurück.
Diese Expedition fand im Jahr 1988 statt und aus einem unerklärlichen Grund wartete Zlobin 20 Jahre um seine Beute im Detail zu untersuchen. Erst im Jahr 2008 sortierte er seine Sammlung und fand bei drei Steinen auf deren Oberfläche klare Hinweise auf Schmelz- und Regmaglypt-Spuren (napfartige Vertiefungen) die durch Ablation verursacht werden, wenn die heißen Steine mit hoher Geschwindigkeit durch die Erdatmosphäre fallen.
Zlobin und auch andere Wissenschaftler konnten anhand der Untersuchung von Baumringen beweisen, dass die Temperatur durch die Explosion am Boden nicht hoch genug war, um Gestein zum Schmelzen zu bringen. Allerdings dürfte der Feuerball in der Erdatmosphäre heiß genug dafür gewesen sein. Daraus schließt Zlobin, dass diese Steine Fragmente jenes Objekts sein müssen, dass damals mit der Erde kollidierte.
Bis jetzt hat Zlobin noch keine detaillierte chemische Analyse der Steine durchgeführt, welche die Isotopen-Zusammensetzung offenbaren würde. So wird die Welt noch etwas warten müssen, bis sie eine genauere Vorstellung von der Natur des Objekts bekommt.
Allerdings schließen die steinernen Fragmente nicht aus, dass sie vom Kern eines Kometen stammen könnten, denn Kometen besitzen neben Eis und gefrorenen Gasen auch Gestein. Zlobin hat berechnet, dass die Dichte des Impaktors etwa 0,6 Gramm pro Kubikzentimeter gehabt haben muss, was der Dichte des Kerns vom Kometen Halley entspricht. Laut Zlobin scheint alles darauf hinzudeuten, dass ein Komet für das Tunguska-Ereignis verantwortlich ist.
Dass Zlobin so lange mit der Analyse seiner Proben gewartet hat, könnte an den politischen Veränderungen liegen welche die Sowjetunion in den vergangenen Jahren durchgemacht hat. Jedenfalls gibt es da noch einiges zu klären.
Dennoch hat der Fund dieser Meteoriten das Potential, zur Klärung eines der herausragenden Geheimnisse des 20. Jahrhunderts beizutragen. Schließlich ist dies der größte, in geschichtlicher Zeit stattgefundene Einschlag auf Erden.
➤ Artikel von Andrei E. Zlobin auf der Webseite von arxiv.org: Discovery of probably Tunguska meteorites at the bottom of Khushmo river's shoal
9. Mai 2013/SP
Verein Kuffner-Sternwarte