Rosettas Vorbeiflug enthüllt komplexe Geschichte des Asteroiden Lutetia
Die lange und bewegte Geschichte des Asteroiden (21) Lutetia wird durch eine umfassende Analyse der Daten, die von der Raumsonde Rosetta bei ihrem Vorbeiflug am 10. Juli 2010 gesammelt wurden, enthüllt. Neue Studien haben des Asteroiden Oberflächen-Morphologie, seine Zusammensetzung und andere Eigenschaften mit bisher unerreichter Genauigkeit aufgedeckt.
Vor allem haben die umfangreichen Untersuchungen der geologischen Besonderheiten Lutetias einen einzigartigen Einblick in seine komplexe Geschichte ermöglicht.
Auf dem Weg zum Rendezvous mit dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko flog die Raumsonde Rosetta am Hauptgürtel-Asteroiden Lutetia vorbei. Die größte Annäherung der Raumsonde erfolgte am 10. Juli 2010 mit 3170 km. Die von Rosetta aus dieser geringen Entfernung gesammelten hoch aufgelösten Bilder, Spektren und weitere wertvolle Daten gaben den Forschern die Möglichkeit, den Asteroiden sehr detailliert zu untersuchen.
Die ersten Ergebnisse, die von dem Vorbeiflug Ende 2011 veröffentlicht wurden, ergaben aus Masse und Volumen des Asteroiden eine überraschend hohe Dichte. Die Daten aus dem Vorbeiflug ließen auch darauf schließen, dass Lutetia ein primordiales Planetesimal aus der Frühzeit des Sonnensystems ist.
Wissenschaftler haben den reichhaltigen Pool an Daten gründlich untersucht, um die vielen Charakteristika von Lutetias Morphologie, der Oberflächen-Zusammensetzung und inneren Struktur und die geologische Geschichte des Asteroiden zu enthüllen. Die Ergebnisse werden in einer Serie von 21 Arbeiten in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Planetary and Space Science veröffentlicht.
Etwa die Hälfte der gesamten Fläche, entspricht im wesentlichen der nördlichen Hemisphäre, wurde von der OSIRIS-Kamera beim Vorbeiflug aufgenommen. Diese einzigartigen Nahaufnahmen ermöglichten den Wissenschaftlern, die sehr unterschiedlichen geologischen Merkmale mit einer Genauigkeit von wenigen hundert Metern pro Pixel zu identifizieren.
Kraterzählung ist ein nützliches Werkzeug, um Regionen zu vergleichen und deren Vergangenheit zu enthüllen. Durch die Erfassung der Anzahl von Kratern, deren räumliche Verteilung, sowie Form und Größe von hunderten von Kratern welche die Oberfläche der jeweiligen Region bedecken, ist es möglich die Epoche festzustellen, in der diese Krater durch Kollisionen mit kleineren Objekten entstanden sind. Bei den größten Kratern ist es sogar möglich, Details des Einschlags zu rekonstruieren.
Anhand der skizzierten Krater und anderer Merkmale auf Lutetias Oberfläche haben Forscher eine geologische Karte vom Asteroiden erstellt. Ihre Studien haben gezeigt, dass die verschiedenen Regionen auf der Oberfläche große Altersunterschiede aufweisen, was auf eine lange und wechselvolle Geschichte des Asteroiden hinweist.
Die beiden stark verkraterten Regionen Achaia und Noricum repräsentieren mit einem Alter von 3,4 und 3.7 Mrd. Jahre die ältesten Teile der Oberfläche von Lutetia. Sie sind fast so alt wie der Asteroid selbst.
Einige der Krater, die in diesen beiden kraterreichen Regionen zu finden sind, stammen aus einer frühen Epoche unseres Sonnensystems, dem sogenannten Late Heavy Bombardement, als es deutlich mehr Zusammenstöße zwischen Monden, Planeten und Asteroiden gab, als dies gegenwärtig der Fall ist.
Massilia, der größte Krater auf dem Asteroiden befindet sich in einer jüngeren Region namens Narbonensis. Mit einem Durchmesser von 57 km ist dieser Krater Zeuge des dramatischsten Ereignisses auf Lutetia: Numerische Simulationen deuten darauf hin, dass der Impaktor der für diesen Kraters verantwortlich sein könnte, eine Größe von etwa 7,5 km gehabt haben müsste. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein solch großes Objekt mit dem Asteroiden kollidierte, ziemlich gering. Und so ist eher anzunehmen, dass Lutetia zum Zeitpunkt des Einschlags noch relativ jung war.
Das jüngste Areal ist die Baetica Region, nahe dem Nordpol des Asteroiden. In dieser Region gibt es eine Reihe sich überlagernder Krater, den sogenannten Nord-Polar-Krater Cluster (NPCC), zu welchem drei große Krater mit mehr als 10 km Durchmesser gehören.
Diese Krater entstanden - auf geologischen Zeitskalen gemessen – erst vor kurzem; nämlich in den letzten paar hundert Millionen Jahren.
Das flache Aussehen der Krater in Baetica, zeigt, dass ihre Oberfläche viel jünger ist als die starke verkraterten Bereiche Lutetias. Außerdem sind in dieser Region noch Auswirkungen des NPCC-Ereignisses zu sehen, weil das Auswurfmaterial sich in der Umgebung ausgebreitet hat, anstatt die Oberfläche des Asteroiden zu verlassen. Eine Folge seiner relativ starken Anziehungskraft. Das Vorhandensein dieses „frischen“ Materials, das viele Felsbrocken mit Größen bis zu 300 Metern umfasst, ist ein weiterer Hinweis auf eine relativ junge Region.
Zusätzlich zu Kratern und anderen geologischen Merkmalen gibt es auch ein komplettes Netzwerk linearer Strukturen, die in einige Fällen bis von 80 km lang sind.
Viele dieser Merkmale sind die Ergebnisse seismischer Phänomene, die auch die Ursache von Verformungen uralter Krater und anderer geologischer Strukturen sind, die vor allem in den älteren Teilen von Lutetias Oberfläche zu finden sind. Im Gegensatz dazu, gibt es einen Mangel solcher Merkmale in der jungen Region nahe dem Nordpol.
Vor dem Vorbeiflug von Rosetta war einer der rätselhaftesten Aspekte die Zusammensetzung von Lutetias Oberfläche. Verschiedene Daten wiesen entweder auf eine metallische oder eine chondritische Zusammensetzung hin, wodurch die Einordnung des Asteroiden problematisch war.
Mit den Daten der Instrumente OSIRIS, VIRTIS, MIRO und Alice, welche die Wellenlängen vom sichtbaren Licht, vom Infrarot, den Mikrowellen und den UV abdecken, haben nun Forscher versucht, das Problem durch Kombination aller Daten der vier Fernerkundungs-Instrumente auf Rosetta zu lösen.
Die neuen Daten zeigen, dass Lutetias Oberfläche eine ungewöhnliche Zusammensetzung hat, die in kein Schema passt und von einer komplexen Kollisions-Geschichte zeugt.
Wenn man die besondere Zusammensetzung des Asteroiden und seine hohen Dichte berücksichtigt, ergibt dies die Möglichkeit, dass er einen metallischen Kern und eine teilweise eine differenzierte Struktur hat, die von einer primitiven chondritischen Kruste überlagert wird.
Der einzige andere differenzierte Asteroid, der von einer Raumsonde besucht wurde, ist Vesta, einer der größten Asteroiden im Asteroiden-Gürtel und deutlich größer als Lutetia.
Der Vorbeiflug an Lutetia war eine der seltenen Gelegenheiten "in situ" Messungen aus der Umgebung des Asteroiden zu bekommen, so dass die Wissenschaftler nach einer Exosphäre, nach einem Magnetfeld und nach einem Satelliten suchen konnten. Es gab aber keinerlei Hinweise auf eine dieser Möglichkeiten bekommen.
Die Raumsonde Rosetta fliegt derzeit ihrem endgültigen Bestimmungsort, dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, entgegen, den sie im Jahr 2014 erreichen wird.
2. JUni 2012/SP
Verein Kuffner-Sternwarte